„So schlau sind die Männer nicht“

■ Betr.: „Der erforschte Mann“, „Verdammte Egos in Opferpose“, taz vom 22.7.94

[...] Der Überblick von Marlene Stein-Hilbers liegt treffend in meinem Verständnishorizont, nur ist hier als „Forschungsgegenstand“ beschrieben, was von einer Psychotherapeutin schon längst zur Grundlage ihrer langjährigen Praxis gemacht ist. Dies besonders bezüglich des ganzen Abschnittes „Zwang, sich als Mann oder Frau zu definieren“. Ich meine damit Polly Young-Eisendraht mit dem Buch „Du bist ganz anders, als ich dachte“ aus dem Droemer Knaur Verlag. In dieser aus der ganzen Männer-Frauen-Literatur herausragenden Darstellung gibt es endlich mehr als die übliche Männer- Frauen-Seite. Sie entwirft einen neuen Beziehungshorizont, nennt psychologische Hintergründe als Ursachen und zeigt zudem noch – durch Beispiele anschaulich – Wege und Methoden auf. Selbst sieht sie sich aus der feministischen Bewegung hervorgegangen und versteht sich sehr lebenspraktisch als Frau, die mit dem Fremden – dem Mann – eine Begegnung und einen Lebenszusammenhang sucht, kritisch hinterfragt und durch „spiegelnde Transformation“ weiterentwickelt.

Darin unterscheidet sie sich lebensperspektivisch hilfreich von zum Beispiel Bly mit seinem „Eisenhans“, den der „Männerforscher“ Mike Donaldson in seinen dortigen Ausführungen „Verdammte Egos in Opferpose“ kritisiert. Dessen Ausführungen halte ich für erschreckend „flach“ und damit bedeutungslos. Natürlich liegt der kritische Punkt „Männerbewegung“ völlig – nämlich ideologiekritisch – richtig. Nur liegt das nicht an Bly, sondern an solchen Leuten wie just diesem „Männerforscher“, der keinen Deut darüber hinauskommt, wo auch Bly letztlich steht: ein Mann (zumindest mit seiner Mann-Sprache „Mittelklassewichser“ und seiner kampfhaften Denke als Geistes- Krieger). Das ist nicht schlimm. Kein Mensch muß alle Welt überragen!

Ich persönlich finde Bly mit seiner Interpretation des Grimmschen Märchens für die Mann-Entwicklung äußerst grundlegend und sollte jedem zur „Pflichtlektüre“ werden. Ja – auch den Frauen, sofern diese statt „Eisenhans“ eine „Feuerhexe“ daraus umdenken und der Weg des Prinzen zu dem der Prinzessin wird. Der „Schlüssel“ liegt dann natürlich nicht bei der Mutter unter dem Kopfkissen, sondern beim Vater! Rainer Hambucher, Fahrdorf

[...] Der Text von Marlene Stein- Hilbers ist keine „kritische Analyse“ der Männerforschung, sondern ein zwar taktisch, aber nicht inhaltlich nachvollziehbares Unterfangen, „Männerforschung“ einseitig darzustellen und gleichzeitig auf den Alleinanspruch, auf die „richtige“ Richtung der Geschlechterforschung zu pochen.

Stammt die Unterzeile „Was wir noch nie über Männer wissen wollten und trotzdem überall nachlesen können“ von der Autorin oder von der Redaktion? Aus dieser Zeile spricht nämlich das paradoxe Anliegen des „Ladies Almanach“. Mir scheint es unmöglich, sich mit etwas produktiv auseinanderzusetzen, von dem ich nichts wissen will.

Der nächste Satz „Männerforscher erobern Unis und Buchläden“ ist Unsinn. Erstens müssen „Männerforscher“ an den Hochschulen immer noch mit der Lupe gesucht werden (und das liegt vor allem am mangelnden Interesse der Männer an ihren Geschlechtsgenossen), und zweitens gibt es in „Buchläden“ schon seit 20 Jahren „Abteilungen zur ,Männerfrage‘“, die sich neben den Legionen der Frauenliteratur nach wie vor bescheiden ausnehmen.

[...] Gerade der letzte Gedanke der Autorin macht die Notwendigkeit deutlich, daß Männer sich lieber außerhalb der Reichweite von Frauen mit sich selbst beschäftigen sollten: Wer als Männerforscher nur „mit dem speziellen Blick auf Konsequenzen für die Lebenssituation und Handlungsmöglichkeiten von Frauen“ das „soziale Handeln und die Situation der Männer“ betrachten darf, erbringt lediglich einen Aufguß feministischer Kritik. Genau das aber, so macht die Autorin deutlich, will sie nicht. [...]

Zwei Anmerkungen noch. Erstens: Die Bildzeile zum Foto „Vom Frosch zum Prinzen durch Selbstbetrachtung?“ strotzt nur so von blinder Selbstgefälligkeit. Ich denke, Männer haben Besseres zu tun, als Prinzen für gelangweilte Prinzessinnen zu werden. Und zweitens: Mag sein, daß der „Männerforscher“ Mike Donaldson „feminismuskompatibel“ ist; er scheint auf jeden Fall noch viel über sich und seine Geschlechtsgenossen lernen zu müssen. Wer mit so viel Selbsthaß wie er über „weiße Mittelklassewichser“ redet und keine Antwort auf die Frage „Wofür brauchen wir eigene Bereiche, eigene Gruppen?“ weiß, der hat seinen Laufstall wohl noch nicht verlassen. Rainer Neutzling, Köln

[...] Es ist ärgerlich, daß Frau Stein- Hilbers hier zu altem „Blockdenken“ zurückkehrt. Ich glaube nicht, daß „die Männer“ mit all ihren Privilegien so uneingeschränkt glücklich sind. (Die Diskussion um Teilzeitarbeit mag hier als sensibles Meßinstrument dienen.) Aber die Fähigkeit, das Gefängnis der eigenen Geschlechtsidentität hinter sich zu lassen, wächst nicht im gleichen Maße wie der sich entwickelnde Unmut über diese Rollenvergabe. (Diese nicht sehr variantenreichen Rollenvorgaben prägen die etablierten Männer- und Frauenbilder. Sie sind die Linien, an denen entlang Identitäten produziert werden. Abweichungen von den ausgetretenen Pfaden werden immer wieder wirksam bestraft. So sind weder Mann noch Frau das Ergebnis ihrer „freien Wahl“.)

Das bedeutet nun nicht, in einen „Wettlauf um die Opferrolle“ einzutreten. Ich würde auch keine „Symmetrie der Unterdrückungsverhältnisse“ zwischen Mann und Frau behaupten. Aber die Zwangs- und Gewaltverhältnisse einer patriarchalen Gesellschaft sind besser zu attackieren, wenn sie von den unterschiedlichsten Perspektiven aus analysiert werden. Die Frage der Parteilichkeit muß so jedesmal neu gestellt werden. Daher gibt es keinerlei prinzipiellen Gründe, daß Männer und Frauen bei den unterschiedlichsten Problemfeldern nicht zusammenarbeiten könnten. Immer wieder wird es Interessenkonvergenzen geben. Doch Frau Stein-Hilbers scheint gerade dies kategorisch ausschließen zu wollen.

Um die entsprechende Sensibilität in der Analyse der patriarchalen Gesellschaft zu erreichen, müssen die Theorieentwürfe beweglicher werden. Die gegenwärtigen feministischen Theorien sind in diesem Bereich viel weiter, als dies Marlene Stein-Hilbers suggeriert. Sie sind keineswegs ängstlich um ihr Interpretationsmonopol besorgt. Judith Butler hat ein theoretisches Modell entwickelt, das über die eindimensionale Frage Mann/ Frau hinausdrängt. Hier gilt es weiterzuarbeiten, um zum Beispiel die Pluralisierung der Geschlechterrollen zu befördern. [...] Markus Rieger, Bonn

[...] Wenn ich als Mann geboren werde, heißt dies für meine Sozialisation, daß ich mit dem konventionellen Rollendenken aufwachse und dieses nahezu komplett annehme (soweit ich NormalbürgerIn als Eltern „erhalte“), um als Kind und Jugendlicher Sicherheiten zu bekommen, die jeder Mensch benötigt.

Weil ich nach allmählichem Begreifen der Ungerechtigkeit dieses Rollendenken ablehnen will, muß ich mich deshalb immer wieder befreien. Dies ist mindestens so mühsam wie der Prozeß, in dem Frauen sich befinden, ehe sie das Patriarchat als Patriarchat wahrnehmen und sich diesem entgegenstellen und es bekämpfen.

Die Privilegien, die für einen Mann selbstverständlich sind, lassen ihn leicht in die Gewohnheiten zurückfallen, mit dem Ergebnis, daß er sich nicht ändert und damit der Machterhaltung der Männer unbewußt dienlich ist.

Somit ist die Reflexion über die Frau wichtig. Sie werden wahrscheinlich noch sehr lange vom Mann die kritische Selbstbetrachtung sowie die Macht fordern müssen. Doch gibt die Trägheit des Mannes, was seine Veränderung zu weniger Privilegien und zu mehr Unbequemlichkeit (und Emotionalität) angeht, nicht das Recht, dem Mann beziehungsweise der Männerforschung zu unterstellen, daß er die tatsächliche Gleichberechtigung mit dem gleichzeitigen Machtverlust nicht wirklich will. Ich will sie, auch wenn mich die von Männern geprägte Gesellschaft abhält, über mich und meine geschenkten Privilegien nachzudenken.

Ich werde den Spiegel der Frau noch des öfteren gebrauchen müssen, doch habe ich nicht den Hintergedanken, am Ende doch der noch immer diktierende „Sieger“ zu sein, obwohl ich weibliche Anteile zulasse. So schlau sind die Männer nicht. Ralf Lottmann, Emden