Gegen die „Verschwörung des Westens“

Die bislang größte Kundgebung islamischer Fundamentalisten in Bangladesch zeigt, daß die Organisationskraft der verschiedenen Gruppierungen noch nicht sehr stark ist  ■ Aus Dhaka Bernard Imhasly

Taslima Nasrin sei eine „perverse Frau“, welche den Tod verdiene, riefen die Redner der Islamisten-Kundgebung in Dhaka gestern immer wieder. Sie waren allerdings vorsichtig genug, offenzulassen, ob sie die ordentlichen Gerichte oder eine religiöse Lynchjustiz meinten.

Zentrales Thema der Veranstaltung war aber nicht die Schriftstellerin, sondern die Artikulation einer Verschwörungstheorie des Westens gegen den Islam: Bangladesch als drittgrößtes muslimisches Land bilde dabei eine Zielscheibe, hieß es, und die privaten Entwicklungsorganisationen seien eines der Instrumente dafür – sie befinden sich dabei in der guten Gesellschaft Indiens, der Weltbank und des IWF.

Ziel des Zorns sind aber in erster Linie einheimische Organisationen, die in den letzten Jahren überall im Land entstanden sind. Diese sehen ihre primäre Aufgabe darin, den Armen, und besonders den Frauen, ihre Würde zurückzugeben, indem sie sie auf ihre Rechte aufmerksam machen und zur Bildung von Selbsthilfegruppen ermuntern.

Dies gefährdet die traditionelle Autorität der Dorfmullahs, wie das Beispiel eines Dorfs in Westen des Landes zeigt, wo eine kleine Organisation, „Bachte Shekha“ (Leben lernen), die Frauen zu eigener ökonomischer Tätigkeit angeregt hatte. Der Mullah erließ eine Fatwa gegen die Frauen, weil ihre „Tätigkeit außer Haus“ das islamische Gesetz verletze. Darauf faßten die Männer Mut und drohten dem Priester eine Gegen-Fatwa an, falls er seine Behauptung nicht beweisen könne. Er konnte es nicht und mußte seinen Bannstrahl zurücknehmen.

Den einzigen wirksamen Schutz vor dem Westen sahen die zahlreichen Redner in einer Islamisierung der Gesellschaft, in welcher die traditionelle Rechtsordnung der Scharia der Verfassung übergeordnet würde. Eine solche würde dafür sorgen, daß auch die anderen Forderungen der Parteien eingelöst würden: Einführung der Todesstrafe bei Blasphemie, Verbot antiislamischer Zeitungen, inklusive ausländischer Medien, Abschaffung des Zinswesens und Aufrüstung, u.a. mit Atomwaffen.

Eine besondere Zielscheibe bildete die islamische Sekte der „Qadianis“ (im Westen auch als Ahmadiyas bekannt), die aus der Glaubensgemeinschaft der Muslime auszustoßen seien, wie es in Pakistan bereits geschehen ist.

Die große Abwesende an der Veranstaltung vom Freitag war die „Jamaat Islami“, die bestfinanzierte und -organisierte unter den sogenannten fundamentalistischen Parteien. Sie führte am gleichen Nachmittag in einigen Kilometern Entfernung ihre eigene Kundgebung durch. Die Partei beansprucht die unbedingte Disziplin aller Gruppierungen unter ihrer Führung; dieser wollen sich aber die meisten von ihnen nicht unterwerfen. Die heterogen zusammengesetzten Parteien verfolgen zum Teil auch ihre eigenen Ziele: Während die Pirs eher einer schwärmerischen antistaatlichen Religiosität zuneigen, waren auf dem Podium auch rechtsextreme Parteien vertreten, für die eine islamische Gesellschaft einem faschistischen Staat ähnlich sieht.

Trotz der göttlichen Heilserwartung sind beide Seiten weiterhin von irdischen Geldern abhängig – allerdings aus unterschiedlichen Quellen, sagen lokale Beobachter: Während die Jamaat vor allem von Saudi-Arabien finanziert wird, sollen die dreizehn anderen Parteien häufige Gäste in der Botschaft des Irans sein.

Die gestrige Kundgebung – erste „Heerschau“ der Islamisten – hat gezeigt, daß die Politiker in Bangladesch eben erst beginnen, das politische Potential zu erkennen, welches in der Alltagsbedeutung der Religion für viele Menschen liegt. Die Fatwa gegen Taslima Nasrin und die darauf folgenden internationalen Proteste haben zweiffellos als Auslöser dazu gedient. Auch in Bangladesch dürfte die Religion dem Nationalismus den Platz als gesellschaftliches Leitbild immer mehr streitig machen.