Echt wie Kuckucksuhren aus Taiwan

■ Den Hamburger Baseballern fehlt es an Ehrgeiz, stattdessen treten sie lieber auf der Stelle

Eigentlich sollte Bob Russell vergangenes Wochenende ein Training für Hamburger Baseballer leiten. Doch dazu kam es nicht, die Lerneinheiten fielen kurzerhand aus. Der Grund für die Absage: Der Assistant Coach der Universität Avery Point in Croton (Connecticut) mußte wegen einer Pressekonferenz sehr eilig nach Bonn.

Der Veranstalter, Zweitligist Hamburg First Base, war sichtlich enttäuscht: „Zum einen war die Organisation umsonst,“ klagte Vereinssprecher Tom Peters, „zum anderen das Interesse äußerst gering.“ In Zahlen: Lediglich fünf Spieler hatten sich vorweg angemeldet.

Die mangelnde Resonanz ist symptomatisch für den Hamburger Baseball und dessen Unprofessionalität. Gemäß dem Lust-Prinzip „Wir wollen Baseball spielen und sonst gar nichts“ ist das Desinteressse der Sportler an allem, was nicht direkt mit dem Spielbetrieb zu tun hat, groß. Dazu wird häufig neben der Nachwuchsarbeit auch das Training gezählt. Viele Aktive geben sich mit dem ohne großen Aufwand erreichten Leistungsniveau zufrieden. Eine trügerische Sicherheit.

Zwar sind die Hamburger Erstligisten mit sechs Spielern im All Star Team der Gruppe Nord vertreten, hat Coach Dennis Braun vier Hanseaten in die Nationalmannschaft berufen. Trotzdem läßt sich eine Stagnation in der sportlichen Entwicklung nicht von der Hand weisen. Fast alle berufenen Spieler sind seit Jahren dabei, es fehlt der Nachwuchs, wie dies auch beim anderen american sport, dem Football, der Fall ist. Es existiert keine Basis. Baseball ist noch immer nicht mehr als eine aus den USA importierte Sportart, die mangels Akzeptanz und Tradition hierzulande ungefähr so authentisch ist wie eine Kuckucksuhr made in Taiwan: aus der Retorte gewissermaßen.

Beispiele gefällig? Bei den St. Pauli Knights coachen zwei US-Amerikaner, die auch nicht verhindern konnten, daß der Aufsteiger (zusammen mit den Hamburg Marines) in die Relegationsspiele gegen den Abstieg muß. Und bei Hamburgs erfolgreichstem Team, den Lokstedt Stealers, die in diesem Jahr berechtigte Hoffnungen auf das Finale der Deutschen Meisterschaft hegen, stammt die Hälfte der Leistungsträger aus den USA.

Damit dies in Zukunft anders wird, bietet die Major League Baseball International das „Envoy Coaches Program“ an, eine Art Entwicklungshilfe-Projekt: Hilfe zur Selbsthilfe. Sechs Trainer reisen seit Anfang Juli durch Deutschland und stellen den Baseball-Gemeinden ihr profundes Wissen zur Verfügung. „Wegen unserer guten Erfahrungen im letzten Jahr haben wir wieder mitgemacht,“ so Tom Peters. Für zwei Wochen übernimmt Bob Russell das Training, wobei sein Hauptaugenmerk darauf liegt, zuerst den Leistungsstand seiner Zöglinge festzustellen. Erst dann kann der 28jährige sinnvoll Aufbauarbeit leisten – sofern er überhaupt da ist und sich genug Lernwillige finden. Bekanntermaßen ist der Ehrgeiz von Hamburgs Baseballern nicht allzu üppig.

E. Host