Bilder gegen Bier-Amnesien

■ Sommertheater: Die Hälfte ist rum, es folge die bessere!

Das Wetter ist schön, die Sonne scheint, deswegen bleiben die Zuschauer draußen und trinken Bier in der sengenden Hitze, und wenn das Bier alle ist, haben sie vergessen, daß sie eigentlich Theaterkarten bestellt hatten. Deswegen muß Maximilian nach Hause fahren (siehe unten) und auch in die Sommertheater-Mikrowellen 1 bis 6 strömen die Braten nicht so wie sie sollen. Jene, welche doch kommen, entfachen dann in den Sälen ein kühlendes Fächerwindchen (das allerdings bis jetzt noch keinen Theater-Orkan verursacht hat) und können beobachten, wie Tänzer nach zwei Minuten schweißglänzen.

Bei En-Knap gab es noch ein Bonbon dazu: offene Hosenställe und gerissene Rückseiten. Erst entkam einem Tänzer der Reißverschluß, dann platzte Iztok Kovac, Gründer und Choreograf der Compagnie, die Naht zwischen den Beinen. Leider war dies die Nachricht. Das Stück selbst war keine.

Die Compagnie aus Ljubljana, die gemeinsam mit Betontanc und Cosmokinetic Cabinet Noordung den Schwerpunk „Slowenien“ ausmacht, zeigt viele kleine Nettigkeiten, die eher Work-in-progress-Charakter besitzen als sich zu einer homogenen Choreografie zu vereinigen. Erst übersetzen sie John Zorns Musikcollagen in Hüpfen, Drehen und Fallenlassen, dann turnt das Sextett mit einigen Utensilien (Seilzug, Autoreifen und einem Tipp-Kick-Sockel im menschlichen Maßstab), schließlich werden sehr bemühte Spiele selbsterfunden (Improvisation, ick hör dir trapsen) und irgendwann tut es dann auch einmal richtig weh, wenn Turnier-Tanz vorgemacht wird. Einiges davon ist zwar ganz elegant getanzt, aber Spannung entsteht keine. Die Idee fehlt, die aus der tänzerischen Selbstverwirklichung ein Produkt für den Zuschauer werden läßt.

Nach der Hälfte des Festivals muß man nicht nur für diese Produktion feststellen, daß der Meta-Slogan „Realität, Öffnung, Radikalität“, zumindest was seinen dritten Bestandteil betrifft, noch keine Anwendung finden konnte. „Kultiviertheit (J. Fabre, M. Monnier), Enttäuschung (R. Sanzo, Teatro Salvador, NVA, En-Knap), Ansätze (Betontanc, M. Laub)“ wäre bis dato das stimmigere Motto.

Doch folgen in dieser Woche vier Produktionen, die diese Einschätzung noch einmal kräftig durcheinanderwirbeln können: Reza Abdoh, Meg Stuart, Cosmokinetic Cabinet Noordung und Tai-Gu-Tales Dance Theatre. Darum bewahre sie Gott vor weiteren Bier-Amnesien. Till Briegleb