Fleetenkieker, Dübel und Senatoren

■ Michael Batz und Thomas Matschoss proben in der Speicherstadt ihre Version des „Jedermann“

Jung, dynamisch und erfolgreich ist er, liebt Quantität statt Qualität. Der moderne Jedermann ist Immobilien-Tycoon in Hamburg. Er hetzt mit seinem Handy von Termin zu Termin, fährt zwischendurch seinen Cabrio und manchmal auch seine Freundin spazieren. Sein größter Deal: Spekulationen in der Speicherstadt.

Genau an diesem Ort, wo die Symbolkraft Hamburger Wirtschaftlichkeit besonders malerisch ist, wird der Hamburger Jedermann, „das andere Spiel vom Sterben des reichen Mannes“, unter der Regie von Thomas Matschoss dann auch gespielt. Neben vielen Zutaten des modernen Hamburgs hat Autor Michael Batz bei seiner Bearbeitung der 500 Jahre alten Urfassung des Volksstoffes auch viele Hamburger Legenden eingearbeitet. So jene von Teufelsbrück. Sie erzählt von listigen Hamburgern, die mit dem Teufel einst einen Handel eingingen: Für den Bau einer Brücke versprachen sie ihm eine Seele. Der Teufel baute die Brücke, bekam aber statt der Seele nur eine Ratte. Wutentbrannt versank der Gehörnte in der Elbe und ward nicht mehr gesehn.

Bis ihn im Jedermann ein Fleetenkieker wieder aus dem Schlick fischt und der Teufel seine alten Schulden einfordert. Zufällig weilt auch der Tod gerade in Hamburg. Vom lieben Gott beauftragt, soll er ein Exempel gegen das sündige Leben der Reichen statuieren. Am Faust'schen Motiv angelehnt, wird ein Pakt geschlossen: Der Tod soll sich seinen reichen Menschen holen. Der Dübel jedoch kann die Seele bekommen - die ihm die Stadt Hamburg noch schuldet.

Zufälliges Opfer von Tod und Teufel (Wolfgang Hartmann und Erik Schäffler) wird Jedermann, gespielt von Holger Mahlich. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, der Grundsteinlegung für ein hypermodernes Kontorhaus, verkündet der Knochenmann sein baldiges Ende. Todgeweiht fällt es dem selbstgefälligen Miethai wie Schuppen von den Augen: Im Angesicht des Todes ist sein gar so grandioses Leben wertlos. Erst wenden sich seine Kollegen von ihm ab, dann diejenigen, die er für seine Freunde gehalten hatte. Nicht mal die Tugenden, die Eigenart, das Ich und der Stil, die der gar nicht mehr so arrogante Geldsack in seiner Not anfleht, sich seiner anzunehmen, wollen etwas von ihm wissen. Schließlich muß er zu seinem Entsetzen feststellen, daß er auch das Grab seiner Eltern nicht besuchen kann, weil auf dem Friedhof längst ein Kaufhaus gebaut worden ist - von Jedermanns eigener Firma.

Mit dem Jedermann, dessen Hofmanthalsche Fassung alljährlich in Salzburg zur Eröffnung der Festspiele aufgeführt wird, hat Michael Batz die ausgetretenen Pfade von Theatersaal und Guckkastenbühne verlassen. Doch prompt stieß das Ensemble in der Speicherstadt auf ungewohnte Schwierigkeiten. In den Fleeten erlaubt die Akustik nur eine bestimmte Metrik im gesprochenen Wort. Außerdem sind die Open-Air-Vorstellungen wetterabhängig.

Aber Batz lockt das Risiko. „Alle gehen immer auf Nummer Sicher. Wir müssen radikaler und härter gegen uns selbst werden. Ich will kein Jammerlappen sein, der immer auf Mutti Kulturbehörde starrt und auf Geld wartet.“ Angesichts des “Schlage-tot-Amüsierbetriebs“, wie Batz die Hamburger Theaterszene empfindet, ist der Jedermann mit seinen vielen bissigen Anspielungen auf Hamburger Politiker, Behörden, Prominenten und Schöngeister fast eine kleine persönliche Abrechnung mit der satten Schönen namens Hamburg. „Ein bißchen Wut“ hat mitgespielt bei der Entstehung des Jedermann, bestätigt Batz, „aber auch Witz und Ironie. Wer sein Hamburg kennt, wird es sicher wiedererkennen.“

Katharina Frier

Premiere am 12. August, 19.30 Uhr, danach 13.-14., 19.-21. und 26.-28. August, jeweils 19.30 Uhr, Sonntags auch 15 Uhr. Auf dem Sande/An der Sandbrücke (U-Baumwall)