: Auf ausgetretenen Pfaden
Nur noch wenige Pharmakonzerne finanzieren die Entwicklung von neuen Verhütungsmitteln / Die Hauptlast tragen Organisationen, die sich in der Bevölkerungsplanung engagieren ■ Von Ute Sprenger
„Die kontrazeptive Revolution der sechziger und siebziger Jahre hat zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Verhütung außerhalb des Schlafzimmers und unabhängig von der genitalen Zone möglich gemacht.“ Wofür Mahmoud Fathalla, ehemaliger Chef des Forschungsprogramms für menschliche Fortpflanzung bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sich so begeistert, stellen Frauenorganisationen in Nord und Süd zunehmend in Frage: die modernen Verhütungsmittel, hormonelle Pillen, von denen jährlich etwa 250 eingenommen werden müssen, um eine Empfängnis zu verhindern, Spiralen, die Infektionen und Eileiterschwangerschaften zur Folge haben können, oder Injektionen und Implantate, mit denen massive Blutungsstörungen einhergehen.
Weil die Verhütungsmittelforschung sich nicht an den Lebensrealitäten von Frauen orientiert, sondern unter dem Einfluß bevölkerungspolitischer Ideologien mittlerweile sogar mit einer „Impfung“ das menschliche Immunsystem gegen Schwangerschaft mobilisieren will, fordern Nichtregierungsorganisationen aus über 18 Ländern, daß in dieser Forschung eine radikale Neuorientierung stattfindet. Eine Forderung, der Fathalla, wenn auch aus eigenen Gründen, in Maßen zustimmen kann. Seit den achtziger Jahren nämlich werden die Gelder für die WissenschaftlerInnen in diesem Metier knapper. Wurden 1984 noch weltweit etwa 63 Millionen US-Dollar für die Entwicklung neuer Verhütungsmittel ausgegeben, waren es im vergangenen Jahr schätzungsweise 57 Millionen. Fathalla empfiehlt seinen KollegInnen, doch einmal danach zu schauen, was die Frauen brauchen – denn da liegen ein neuer Markt und vielleicht auch neue Gelder.
Die Pharmaindustrie, die sich noch in den Anfangsjahren der „kontrazeptiven Revolution“ ein Wettrennen auf den neuen Teilmarkt der modernen Verhütungsmittel lieferte, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten aus der Grundlagenforschung und der Produktentwicklung zunehmend zurückgezogen. Übernommen wurde das Feld von Stiftungen, die sich in der Bevölkerungskontrolle engagieren, wie von Family Health International (FHI) und dem Population Council, den beiden wichtigsten privaten Instituten in der Verhütungsforschung und -entwicklung, sowie von Regierungsorganisationen und Organisationen der öffentlichen Hand. Dazu gehören unter anderem die US-Entwicklungshilfeagentur AID, die nationalen Gesundheitsinstitute der USA NIH und die WHO, bei der auch die weltweiten Aktivitäten auf diesem Sektor koordiniert werden.
Nachdem in den siebziger Jahren die Verhütungsmärkte etabliert und die Profite sicher waren, ist es für die Pharmaindustrie heute lukrativer, weiterhin die alten Produkte in etwas veränderter Zusammensetzung und in verschiedenen Darreichungsformen zu verkaufen, als das Risiko einer Neuentwicklung zu wagen. 1970 waren hier 13 Konzerne aktiv, acht davon in den USA. Heute sind es noch vier; drei in Europa – Organon, Schering und Roussel Uclaf – und als vierter das US-Unternehmen Ortho. Für diesen Rückzug gibt es verschiedene Gründe. Sie liegen einmal in den gestiegenen Gesamtkosten für die Erforschung und Entwicklung neuer Kontrazeptiva durch vorklinische und klinische Tests, die bei der Pille zum Teil erst nach der Marktzulassung liefen. Zudem hat sich die Zeitspanne von der Grundlagenforschung bis zum Produkt von ehemals fünf auf fast zwölf Jahre erhöht, damit verbunden verringerte sich der Patentschutz. Wird eine neue Substanz entwickelt und zum Patent angemeldet, beträgt die Schutzzeit 20 Jahre, so daß nach einer zwölfjährigen Entwicklungsphase einem Konzern noch acht Jahre bleiben, um damit Geld zu machen. Darüber hinaus zogen etliche Konzerne, vor allem in den USA, nach Schadenersatzforderungen durch geschädigte Anwenderinnen und nach Boykottandrohungen durch LebensschützerInnen, die Konsequenzen und forschten darauf hin eher an weniger kontroversen Produkten. Ohnehin sind große Pharmaunternehmen nur an großen Märkten interessiert, also an solchen, die ein jährliches Umsatzvolumen von etwa 50 Millionen US-Dollar aufwärts versprechen. Außer der Pille und dem Kondom hat das derzeit kein anderes Verhütungsmittel zu bieten, heißt es dazu in einem Bericht der Nationalen Wissenschaftsakademien in Washington.
Das niederländische Unternehmen Organon, neben Schering einer der ganz großen Pillenproduzenten, klagt dennoch über geschäftsschädigende unsachliche Diskussionen in der „Nichtfachpresse“ und darüber, daß Verbraucherinnengruppen eine „eigene Auslegung des Verhältnisses von Risiko und Nutzen“ seiner Produkte hätten. Um Defizite im verhütungstechnischen Verständnis von JournalistInnen zu beheben, lud der Konzern kürzlich unter dem Titel „Die produktive Revolution, Kontrazeption und Aufklärung – Strategien zur Bewältigung der Bevölkerungskrise“ zu einem Seminar nach Wien ein. Neben einem umfangreichen Unterhaltungsprogramm wurden dort Vorträge von VertreterInnen von Weltbank bis WHO und dem internationalen Dachverband von Familienplanungsprogrammen (IPPF) geboten. Sie alle sorgten sich um das rasche Bevölkerungswachstum in den „armen Ländern“, lobten moderne Kontrazeptiva und betonten, daß mehr davon gebraucht werden, weil doch Verhütung billiger ist als Entwicklung – oder, wie es Ok Pannenborg von der Afrikaabteilung der Weltbank ausdrückte, die „Bereitstellung von Familienplanungs- und Reproduktionsgesundheitsdiensten gegenüber dem sonstigen Bedarf der Länder in Gesundheitswesen und Entwicklung nur mittlere Investitionen“ erfordert.
Daß die Wissenschaft bei ihrer Suche nach wirksamen Methoden zur Kontrazeption am liebsten auf ausgetretenen Pfaden schreitet und hierbei vor allem die Interessen der Bevölkerungslobby bedient und nicht die von Frauen nach sicheren und gesundheitsverträglichen Verhütungsmitteln, die ihrer eigenen Kontrolle unterliegen, macht ein Blick auf eine Liste von Produktlinien deutlich, an denen derzeit weltweit geforscht wird. Da gibt es wenig, was neu ist. Viele Linien sind nur Varianten von Methoden, die schon auf dem Markt sind. So wird momentan unter anderem an vier Spiralmodellen, sieben Implantaten, fünf Injektionen, fünf Pillen, sechs „Impfstoffen“ und sechs weiblichen Sterilisationstechniken gearbeitet.
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