■ Nebensachen aus Moskau
: Zwischen Donnerbalken und Lebensbühne

Vor zwei Dingen habe ich in Moskau wirklich Angst: davor, daß mein Auto mitten in der Nacht auf einsamer Straße liegenbleibt, und davor, am falschen Ort zu müssen. Auf munizipaler Ebene sind solche Bedürfnisse in der Zwölfmillionenstadt kaum vorgesehen – und, wenigstens für ausländische Gäste, meist nicht in öffentlichen Institutionen. Wenn ich dort auf die nächste vielversprechende Tür zusteuere, werden ich oft durch verzweifelte „Da nicht!“-Rufe gestoppt. Anschließend führt man mich über quälend lange Korridore zu offenbar privilegierten Örtchen. In Studentenklos, zum Beispiel, haben nämlich die einzelnen Kabinen meist nur Türen bis zur Brusthöhe. Leicht läßt sich rekonstruieren, welche Urform des Klos der russischen Variante zugrunde lag: Es war der Donnerbalken. Dies mag etwas mit kollektivistischer Gesinnung zu tun haben. Erklärt sich daraus auch Zielblindheit? Die jedenfalls herrscht durch die Bank auch auf den „privilegierten“ Toiletten.

Bei alledem hat in Rußland die Toilette eine Apotheose zur Lebensbühne vollzogen. Ein Landsmann von mir wurde in der Universität von Saransk unter „Da nicht!“-Rufen in die Professorentoilette dirigiert. Dort, auf einem von keiner Tür geschützten Podest, mit einer wiederum stark erhöhten Schüssel, verrichtete er ein dringendes großes Geschäft – vor den Augen würdiger, nickelbebrillter Herren in altmodischen dunklen Jacketts. Es waren Professoren, die Substantielles diskutierten und dabei unentwegt ihr Geld zählten.

Ähnliches erlebte ich auf dem Moskauer Inlandsflughafen Domodjedowo. Die Stehklo-Podeste dort sind so erhaben, daß frau förmlich hinaufspringen muß. Das dort oben Vorgefundene veranlaßt viele, umgehend wieder zurückzuhüpfen.

Nun darf man sich als AusländerIn eigentlich nicht beschweren. Mit der entsprechenden äußeren Erscheinung, gegebenenfalls unter Vorzeigen eines Ausweises, lassen sich die Toiletten der großen internationalen Hotels erschließen. Dort, im „National“ oder im „Metropol“, haben wir uns früher auch defizitäres Toilettenpapier zusammengeklaut. Aber wenn man oder frau aus der russischen Provinz kommt? Auf dem Kasaner Bahnhof z.B. befindet sich das Männerpissoir in der allgemeinen Eingangshalle. Das Örtchen für Frauen ist jedoch im Warteraum für Reisende mit längerem Aufenthalt untergebracht und somit nur nach Vorweisen eines gültigen Fahrscheins zu erreichen. Zudem logieren auf den russischen Bahnhofstoiletten häufig PennerInnen und Roma – die besten KundInnen der armen Toilettenfrauen.

Kann man denn jetzt in Rußland vom Betrieb einer Toilette leben? Mein heißer Tip: Im Kaufhaus GUM und unter der Fußgängerzone Kusnezki Most haben sich einigermaßen erträgliche kooperative Toiletten etabliert. Die dort zu zahlenden 100 Rubel belasten das russische Privatbudget nicht unverschämt. Wiederholt habe ich gelesen, im Zuge der Privatisierung von Staatsbesitz entstünden teure, hervorragend geführte, kommerzielle Toiletten. Dafür ist deren Standort offenbar auch Geschäftsgeheimnis. Bei den wahrhaft öffentlichen, weil kostenlosen Toiletten in Moskau muß es sich geradezu um strategische Objekte handeln. Zu diesem Schluß kam jedenfalls die Tageszeitung Komsomolskaja Prawda bei dem Versuch, behördliche Auskunft über deren Zahl, Lage und Zustand zu erhalten. Es kennt sie auch kaum jemand, weil die BürgerInnen Moskaus gar nicht mit ihrer Existenz rechnen.

Dafür sind die RussInnen WeltmeisterInnen im Essichverkneifen. Inzwischen kalauern die MoskauerInnen: „Regt euch nicht auf, bald bekommen wir ein effektives Toilettensystem nach der Greenpeace-Methode: ein Piß wird dann einen Grünen kosten (einen US-Dollar = über 2.000 Rubel). Das dazugehörige Papier gibt es übrigens inzwischen – außer auf den Toiletten – überall. Im Prinzip. Ich könnte nur nicht sagen, wo gerade aktuell. Barbara Kerneck