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Die kugelsichere Weste nutzte nichts

In Florida ermordete ein militanter Abtreibungsgegner einen Arzt und seinen Leibwächter / Öffentliche Drohungen gegen medizinisches Personal von Frauenkliniken  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Kugelsichere Westen gehören mittlerweile zur Arbeitskleidung von Ärzten, die in den USA Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dr.John Britton trug seine, als er letzten Freitag von seinen beiden Leibwächtern am Flughafen von Pensacola abgeholt und zu einer der örtlichen Frauenkliniken gebracht wurde. James und June Barrett entsprachen nicht unbedingt dem typischen Bild eines Bodyguards. Der 74jährige Ex-Leutnant der Luftwaffe und die 68jährige pensionierte Krankenschwester hatten sich letztes Jahr als Eskorte für medizinisches Personal zur Verfügung gestellt, nachdem militante Abtreibungsgegner die kleine Stadt im Bundesstaat Florida zu einem ihrer Aktionszentren gemacht hatten.

Als Barrett morgens vor der Klinik parkte, trat ein Mann mit einem Gewehr vor den Wagen und eröffnete das Feuer. John Britton und James Barrett wurden durch Kopfschüsse getötet, June Barrett mit Schußverletzungen am Arm ins Krankenhaus eingeliefert. Wenige Minuten später verhaftete die Polizei den 40jährigen ehemaligen Priester der „Orthodox Presbytarian Church“, Paul Hill, den Zeugen zuvor als den Täter identifiziert hatten. „Ich weiß nur eines“, erklärte Hill bei seiner Festnahme, „heute werden in dieser Klinik keine Babies getötet.“

Im März 1993 war eine benachbarte Klinik ebenfalls in Pensacola zum Tatort des ersten Mordes militanter Abtreibungsgegner geworden. Mit einem Revolver hatte Michael Griffin, Mitglied einer Anti-Abtreibungsgruppe, den Arzt David Gunn erschossen. Griffin wurde inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilt.

Gunn war zuvor von Abtreibungsgegnern bei Demonstrationen auf „Steckbriefen“ mit Photo und Adresse als „Babymörder“ angeprangert worden. Der Mord an dem 69jährigen Britton und seinem Begleiter hat jedoch zusätzliche Empörung ausgelöst, weil der mutmaßliche Täter mehrfach in der Öffentlichkeit Gewalt gegen Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, gerechtfertigt hat. Nur zwei Tage nach dem Mord an Gunn trat Paul Hill in der „Phil Donahue Show“, einer der populärsten Talk-Shows auf, und erklärte, Dunn habe den Tod verdient. Es folgten Fernsehinterviews auf CNN und in „Nightline“, einem renommierten Politikmagazin von ABC, wo Hill erklärte: „30 Millionen Kinder sind gestorben. (...) Manchmal muß man selbst Gewalt anwenden, um zu verhindern, daß andere unschuldige Kinder töten.“

Einschüchterung und Drohungen gegen medizinisches Personal von Frauenkliniken gehört seit längerem zum strategischen Repertoire der Abtreibungsgegner. Mit dem Wahlsieg Bill Clintons hatte die christlich-fundamentalistische Bewegung einen ihrer wichtigsten Koalitionspartner verloren: das Weiße Haus. Randall Terry, Gründer der Anti-Abtreibungsgruppe „Operation Rescue“, verkündete daraufhin: „Wir haben das schwache Glied in der Kette gefunden. Es sind die Ärzte. Wir werden ihre Namen öffentlich machen und sie an den Pranger stellen.“ Weder ein Bill Clinton im Weißen Haus noch eine liberale Mehrheit im Obersten Gerichtshof, so das Kalkül Terrys und seiner Anhänger, können die Durchführung von Abbrüchen garantieren, wenn es keine Ärzte mehr gibt, die Abtreibungen durchführen.

Bill Clinton, der die Morde an Britton und Barrett als „Terrorismus“ verurteilte, hatte erst vor zwei Monaten ein Gesetz in Kraft gesetzt, wonach Blockadeaktionen und Einschüchterungsversuche gegen Patientinnen und medizinisches Personal vor Abtreibungskliniken unter Strafe gestellt werden.

Mehrere sogenannte „Lebensschützer“ verurteilten die Morde von Pensacola. Die „Pro Life“-Bewegung habe keinen Platz für Gewalttäter, erklärte Pat Mahoney, Vertreter von „Operation Rescue“. Dem entgegnete James Wagoner, Vizepräsident der „National Abortion Rights Action League“: „Nach unserer Auffassung tragen die Führer der Anti- Abtreibungsbewegung einen großen Teil der Verantwortung für diese Tat, weil sie entweder unwillig oder unfähig sind, die gewalttätigen Extremisten in ihren Reihen unter Kontrolle zu halten.“

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