„Der größte Waffenmarkt der Welt“

■ Die vom UN-Sicherheitsrat verhängte Liefersperre bildet für die Kriegsparteien in Bosnien kaum ein Hindernis

Das Frachtschiff mit den hinter ägyptischer Baumwolle verborgenen Sturmgewehren, Raketen und Granaten für die bosnischen Muslime entging den Überwachern des Waffenembargos nicht. Ein genauerer Blick auf die Durchsetzung der vom UNO-Sicherheitsrat beschlossenen Liefersperre gegen Ex-Jugoslawien zeigt aber, daß solche Erfolge wohl Einzelfälle sind und daß die Kontrolle des Embargos mehr Löcher hat, als nach außen zugegeben wird. Experten vermuten, daß die USA Lieferungen an die Muslime insgeheim dulden.

Das Waffenembargo war 1991 über das gesamte ehemalige Jugoslawien verhängt worden, um eine Ausbreitung des Konflikts zu verhindern. Tatsächlich wurde damit aber nur die militärische Überlegenheit der Serben festgeschrieben. Von Beginn an versuchten alle Beteiligten, das Embargo zu umgehen. Nach Meinung des Balkanspezialisten des Militärfachverlags „Jane's Information Group“ in London, Paul Beaver, seien von April 1992 bis April 1994 Waffen und Munition im Wert von 660 Millionen Dollar an die Kroaten gegangen, für 476 Millionen Dollar seien Militärgüter an die Serben und für 162 Millionen Dollar an die Muslime geliefert worden.

Seit April 94 erhalten die bosnischen Regierungstruppen aber verstärkt Nachschub. Ein Grund dafür ist die auf US-Initiative zustande gekommene muslimisch- kroatische Föderation, die neue Landwege für den Waffenschmuggel nach Bosnien öffnete. Dies sei nicht die Absicht gewesen, versichert der US-Botschafter in Bosnien, Jackovich. Kommandeure der bosnischen Regierungstruppen bestätigten, daß es regelmäßige Waffenlieferungen gibt.

Finanzhilfen für Militär- berater aus Deutschland

Beaver behauptet weiter, in den vergangenen vier Monaten seien bei den bosnischen Regierungstruppen mindestens drei bis vier Dutzend moderner Panzerabwehrraketen, bis zu 20 US-Flugabwehrraketen des Typs Stinger sowie 20.000 Sturmgewehre, Granaten und Mörser eingetroffen. Weiter verfügten die bosnischen Truppen über modernste US-Nachtsichtgeräte und Funkgeräte. Bislang hätten die Muslime aber nichts erhalten, was das Kriegsgeschehen entscheidend beeinflussen könne, sagte Beaver, beispielsweise schwere Kampfpanzer.

Das Geld für die Waffen der Bosnier kommt nach übereinstimmender Ansicht von Beobachtern aus islamischen Ländern, vor allem aus Saudi-Arabien, dem Iran und der Türkei. Die Finanzhilfen ermöglichten es der bosnischen Regierung auch, Militärberater anzuwerben, besonders in der Türkei und in Deutschland. Das ehemalige Jugoslawien sei „derzeit der größte Waffenmarkt der Welt“, so Beaver. Dabei komme es auch zu ungewöhnlichen Koalitionen. So habe der Iran in Rußland, einem traditionellen Verbündeten der Serben, Flugzeuge gechartert, um in den vergangenen sechs Wochen rund 1.000 Tonnen Munition auf die kroatische Insel Krk fliegen zu lassen, von wo aus diese nach Bosnien gebracht wurde.

Gegen die von den USA befürwortete Aufhebung des Waffenembargos für die bosnischen Truppen sind vor allem Frankreich und Großbritannien, die Racheakte der Serben an den in Bosnien stationierten UN-Friedenstruppen befürchten. Inoffiziell deuteten Diplomaten beider Länder an, daß die Amerikaner wohl an einigen Verletzungen des Waffenembargos beteiligt seien. Ein früherer CIA-Agent, Vincent Cannistraro, erklärte, der US-Geheimdienst wisse wohl von den Waffenlieferungen an die Muslime, unternehme aber nichts dagegen. Maud Beelman (AP), Sarajevo