Ein Machtwort aus Belgrad

■ Serbiens Präsident Milošević mahnt bosnische Serben, den Teilungsplan der „Kontaktgruppe“ anzunehmen

„Niemand hat das Recht, im Namen des serbischen Volkes den Frieden abzulehnen.“ So meldete sich gestern nach langem Schweigen der serbische Präsident Slobodan Milošević zu Wort. Miloševićs ausführliche Stellungnahme zum Friedensplan war gestern Aufmacher in der regierungstreuen Tageszeitung Politika. „Das Ziel des heroischen Kampfes des serbischen Volkes um Freiheit und Gleichberechtigung ist erreicht“, sagte Milošević weiter. „Die Serbische Republik ist geschaffen, nach dem internationalen Friedensplan soll sie legalisiert werden und die Hälfte des bosnischen Territoriums einnehmen. Dieser Friedensplan kann nicht als antiserbisch bezeichnet werden. Er muß angenommen, der Friedensprozeß muß fortgesetzt werden. [...] Die Entscheidung über den Vorschlag der internationalen Gemeinschaft darf nicht von Detailfragen abhängen. [...] In dieser Stunde liegt das serbische Interesse im Frieden. [...] Das mindeste, was die Bürger Jugoslawiens von der Führung der Serbischen Republik erwarten können, ist, die notwendigen Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen zu schaffen.“

Es ist das erste Mal, daß sich Milošević persönlich zum Friedensplan äußert. Bisher hatte er es vorgezogen, den restjugoslawischen Bundespräsidenten Zoran Lilić oder seine Ehefrau Mirjana Marković mit Friedensbotschaften in den Ring zu schicken. Offensichtlich hat die Ankündigung der russischen Regierung, sie werde sich im UN-Sicherheitsrat nicht länger einem härteren Vorgehen gegen die bosnischen Serben verweigern, diesen Noteinsatz ausgelöst.

Die Haltung der serbischen Öffentlichkeit und der Parteienszene zum Friedensplan ist ähnlich zögerlich. Die Bevölkerung ist frustriert von der internationalen Isolation des Landes. Die traditionell reisefreudigen Serben leiden im Sommer besonders unter der Isolation, den strengen Visabestimmungen und der Wirtschaftskrise, die vielen Menschen derzeit den früher selbstverständlichen Sommerurlaub unmöglich macht. Doch die Solidarität mit den bosnischen Serben ist weiterhin stabil. Die national ausgerichteten Parteien können es sich leisten, sich aus der Opposition heraus kompromißlos zu geben und serbische Zugeständnisse im bosnischen Konflikt zwecks baldiger Aufhebung der Sanktionen gegen Restjugoslawien abzulehnen.

In einer ersten Stellungnahme charakterisierte der Vorsitzende der nationalen Serbischen Demokratischen Partei, Vojislav Kostunica, Miloševićs Äußerung als weiteres Manöver, sich an der Macht zu halten und persönlich zu bereichern. Die nationalistische Radikale Partei von Vojislav Seselj verurteilte Miloševićs aufsehenerregendes Machtwort als verräterisch. „In diesem Krieg sind viele serbische Kämpfer mit dem Namen Miloševićs auf ihren Lippen gefallen. Doch Milošević versucht, sich rauszuziehen – als ob das Schicksal unserer Brüder in Bosnien ihn nichts anginge“, sagte Seselj.

Das Regime in Belgrad rächt sich auf seine Weise und versucht die nationalistischen und rechtskonservativen Strömungen zu diskreditieren. Am Wochenende wurde der Radikalenführer nach einer Demonstration im montenegrinischen Urlaubsort Herceg Novi aus Montenegro ausgewiesen – ein unerhörter Vorfall angesichts der Tatsache, daß Seselj zugleich Abgeordneter des restjugoslawischen Bundesparlaments ist.

Unterdessen traf gestern nachmittag der russische Außenminister Andrej Kosyrew in Belgrad mit Milošević zusammen, um letzte Möglichkeiten auszuloten, wie man die bosnischen Serben doch noch zu einer positiven Antwort bewegen könne. Karen Thürnau, Belgrad