Ursprungssuche? New-Age-Kitsch?

■ Sommertheater: Für- und Gegenrede zur Choreografie vom Tai-Gu-Tales Dance Theatre

PRO: Mit der körperlichen Explosivkraft chinesischer Artisten und einer – an Robert Wilson-Inszenierungen erinnernden – meditativen Verlangsamung bannt das Tai-Gu Tales Dance-Ensemble aus Taiwan derzeit das Publikum beim Sommertheater. Einen tatsächlich ungewöhnlichen Blick über kulturelle Grenzen hinweg gewährt das Ensemble mit der Performance The Back of Beyond.

Wie Statuen stehen zu Beginn vier Tänzer in Tuchbahnen gehüllt im Halbdunkel der Bühne. Langsam entpuppen sie sich, um darauf wie eine Welle aus Körpern zeitlupenhaft über die Bühne zu rollen. Wie hier so eindrucksvoll zum fließenden Wasser werdend, scheinen sich die drei Tänzerinnen und drei Tänzer im Folgenden zu Erde zu verwandeln, wenn sie mit ihren Körpern zu wachsenden Blüten oder wie vom Winde verweht werden. Das rätselhafte Ritual, das sie mit äußerster Körperbeherrschung und Konzentration vollziehen, entfaltet beeindruckende Bilder von Geburt und Wachsen, Zerstörung, Haß und Liebe. Und Leere.

Fiel bisher – trotz der unterschiedlichsten Ensembles aus vier Kontinenten – im Programm des Sommertheaters mitunter eine aus der Internationalisierung des Tanztheaters resultierende Gleichförmigkeit der Ausdrucksformen auf, so eröffnet die Choreographin Lin Hsiu-Wei mit ihrer Arbeit ganz andere Perspektiven, die die tänzerische Form überschreiten und sie auf ihren magisch-rituellen Ursprung zurückführen.

Julia Kossmann

CONTRA: Es gibt Theater-abende, bei denen die gekonnte Handwerklichkeit in einen so krassen Widerspruch zum dargestellten Inhalt gerät, daß irgendwann auch die Handwerklichkeit schmerzt. So diesmal: Wie das Ensemble Tai-Gu-Tales mit grandioser Körperbeherrschung und Präsenz einen bitterlichen New-Age-Kitsch produzierte, das erbaute nach spätestens einer halben Stunde auch eine vehemente Abwehr gegen die Präzision der Choreografie.

Glitschige Synthie-Kompositionen mit billigen Sounds, also geschmackloseste Gebrauchsmusik zu der im richtigen Leben reiche Hausfrauen ihr autogenes Training machen, wabberte durch die düstere Szenerie, auf der asiatische Symbole von der Stange in elegischer Blasiertheit darstellt wurde. Die fünf chinesischen Elemente sowie drei Zustände (Chaos, Explosion, Konzentration) bildeten das Raster der liturgisch-athletischen Darbietung, die natürlich auch spannende Akzente besaß. Aber in dieser Verzierungsform, die ohne Ironie und kritische Distanz nur versucht angebliche Urkräfte zu symbolisieren, entsteht Intellektuellen-Folklore mit religiösem Unterbrummen. Dies zu hassen, dafür lasse ich mich gerne „Eurozentrist“ schimpfen. Till Briegleb