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: Der allseits gebildete Rotarmist

So kann es kommen – wenn man, wie die Woche-Endredakteurin Gabriele Riedle, mit einem intellektuell-weichgezeichneten West-Wehrdienstverweigerer zusammenlebt und dann über eine martialische Ost-Militärparade berichten soll: Es wurde eine Hymne auf die (russischen) Westtruppenteile daraus! Mit dem Fazit: Schade, daß all diese schönen, stählernen Männer jetzt abhauen, die selbst „Charlottenburger Doktorinnen der Geschichte“ (wäre die Autorin selber beinahe geworden) vor „Begeisterung wie rasend weiß- blau-rote Winkelemente“ zum Abschied leise Servus schwenken ließen.

Wieder ein Berliner Standortvorteil perdu! – So könnte man ihren Artikel über den Abzug der Roten Armee zusammenfassen. Und recht hat sie. Außer Mauer und Sowjets gibt es absolut keinen Grund für Touristen aller Länder, diesen Immobiliensumpf zwischen Spree und Havel länger als eine Schweigeminute zu goutieren. Und beides schrumpft nun auf Museumsgröße zusammen. Riedle schreibt: „Wehmütig denken wir Westberlinerinnen jetzt zurück an unsere ersten Begegnungen mit jener Macht, die wir nur aus Fernsehnachrichten und James-Bond-Filmen kannten. An den schönen Sonntagsausflug damals 1991 am ,Tag des Fliegers‘ in Eberswalde.“

Seitdem hat sie keinen Sowjetarmee-Stützpunkt und keine Abschiedsparade, einschließlich des äußerst gelungenen Lustgarten- Auftritts des „Balalaika-Ensembles der Roten Armee“, ausgelassen. Über dieses Nokia-Event schrieb sie: „Wilmersdorfer Witwen, Kreuzberger Punks und Marzahner Proletarier rasten (sic!) gleichermaßen... ,Das hätte ich ja nie gedacht, daß die Rote Armee mal für mich Knockin' on Heaven's Door singt‘, schluchzte ein Schöneberger Rechtsanwalt.“ Damit ist ihr pazifistischer Partner direkt gemeint.

Beim Durchblättern des Abschieds-Buches der Russen „Sowjetische Truppen in Deutschland von 1945 bis 1994“ notiert die schwäbische Germanistin sich einzig die Bildunterschrift: „Landstreitkräften bestehen nur aus den richtigen Männern“ – und seufzt darob: „All diese interessanten Publikationen, merkwürdigen Darbietungen und exterritorialen (out of area? – H.H.) Erfahrungen gehören nun bald der Vergangenheit an... Demnächst wird es sich nicht mehr lohnen, sonntags mit dem Fahrrad durch Karlshorst zu fahren... Und schließlich wird Berlin sein wie Düsseldorf oder jede andere Stadt.“

Dabei rührt ihre Soldatensympathie bloß daher, daß eine aufgeweichte Armee ihren traurig-trotzigen Rückmarsch antritt, unter Zurücklassung ihrer Auszeichnungen beim türkischen Trödel. An sich hat die Rote Armee jedoch schon lange keine Intelligenzbestien mehr hervorgebracht, ihre Hauptbeschäftigung bestand aus dumpfem Drill: der Herausbildung von Heavy-Metal-Tugenden also, die bei der Bundeswehr langsam und zum Glück mit der Amerikanisierung fast verschwanden. Wie man ja überhaupt bei den koedukativen Heeren, der USA und Israels beispielsweise, noch am ehesten auf fröhliche und selbstbewußte SoldatInnen stößt. Die Sowjets haben diese Nachkriegs-Kurve einfach nicht gepackt, im Gegenteil, weswegen sich viele ältere Russen auch nach dem Stalinschen Kriegskommunismus der vierziger Jahre zurücksehnen: „Damals herrschte wirklich noch Kameradschaft!“ Heute ist die Offiziersführung korrupt (Generaloberst Burlakow schenkte gerade dem Sohn von Miisterpräsident Tschernomyrdin einen dicken Mercedes zum Geburtstag), und die Mannschaften sind lebensuntüchtig („Außer Bodybuilding, Zielen und Bettenbauen nichts gelernt!“). Dabei ist gerade bei den heutigen Kriegen nichts so sehr gefragt wie die „kreative Konfliktlösung“ (so Rüstungsmanager Edzard Reuter). Das meint: Warum greift Riedle mit ihrem Freund Emil zum Beispiel nicht in die abchasisch-georgische Krise ein? Das wär' doch noch mal eine Aufgabe, die den ganzen Mann und die ganze Frau (er)fordert. Helmut Höge

Wird fortgesetzt