Trainingsplatz statt Kirche

Einer der besten Stürmer der Welt fehlte bei der Fußball-WM, weil sich sein Land nicht qualifiziert hatte / Anthony Yeboah über seine Heimat Ghana, seine Kindheit und seine Familie  ■ Von Christoph Reinhardt

Frankfurt/Main (taz) – Gäbe es den Fußball nicht, wäre Berti Vogts heute wahrscheinlich statt angefeindeter Bundestrainer irgendein schlichter Werkzeugmacher. Franz Beckenbauer wäre ohne seine Fußballbegabung kein Kaiser geworden, sondern wohl nur ein solider Versicherungskaufmann. Und auch Leute wie Jürgen Klinsmann in seinem Beruf als Bäcker und Karl-Heinz Riedle, der gelernte Metzger, wären kaum prominent geworden. Was wäre aus Anthony Yeboah geworden, wenn er nicht als Mannschaftskapitän bei Eintracht Franfurt arbeiten würde? „Ich weiß nicht, was wäre, wenn es nicht geklappt hätte. Fußball ist das einzige, was ich gelernt habe. Bei jedem Tor danke ich meinem Gott, daß es geklappt hat. Wenn es nicht geklappt hätte, stünde ich wohl auf der Straße.“

Statt als Drop-Out die Straßen seiner Heimatstadt Kumasi unsicher zu machen, konnte Anthony („In Ghana bin ich, was hier Beckenbauer ist“) im Sommer hochangesehen heimkehren: Ghana hatte sich nicht für die WM- Endrunde qualifiziert. Drei Wochen Pause für einen der besten Stürmer der Welt. „Immer wenn ich frei habe, im Winter und im Sommer, fahre ich nach Ghana, um meine Eltern zu sehen.“

Neun Kinder gab es in Yeboahs Elternhaus, drei Schwestern leben in Ghana, zwei sind in Italien. Die drei Brüder sind alle im Ausland: um Fußball zu spielen. Doch nur Tony, der in seiner Familie immer noch bei seinem traditionellen Namen „Jaw“ (nach dem Tag seiner Geburt, „Donnerstag“) gerufen wird, hat den Durchbruch geschafft. Die anderen spielen in Amateurmannschaften, sind praktisch arbeitslos. „Wir alle haben nur Fußball gelernt. Wenn ich es nicht geschafft hätte, tja, dann hätte ich wirklich Pech gehabt. Ich war gut in Automechanik, und meine Mutter hätte es lieber gehabt, daß ich weiter zur Schule gegangen wäre. Aber ich wollte Fußball spielen.“

Sein beträchtliches Gehalt von Eintracht Frankfurt kann Yeboah nicht für sich allein behalten. „Bei uns ist es nicht wie in Deutschland. In Deutschland muß jeder selber sehen, woher er Geld bekommt. Bei uns sind die Voraussetzungen ganz anders. Meine Eltern waren arme Leute. Ich bin der einzige von ihren Kindern, der eine Chance gehabt hat. Also muß ich mich jetzt um meine Brüder, meine Schwester und meine Eltern kümmern und ihnen helfen. Bei uns ist es nicht so wie in Europa. Wir bekommen kein Geld vom Staat oder so. Wir Afrikaner haben deshalb häufig viele Kinder, weil wir wissen: Hilfe kommt von den Kindern. Wenn du deinem Kind richtig hilfst, kann dir, wenn du alt bist, dein Kind auch ein bißchen helfen. Ich habe meinen Eltern sehr gut geholfen. Ich habe ein großes Haus für sie gebaut, und ich kümmere mich um meine drei Brüder in Europa.“

In diesem Elternhaus kommt die ganze Familie zusammen, wenn Yeboah Urlaub hat. „Wir reden da hauptsächlich über Familienangelegenheiten. Wir sehen uns nicht sehr oft und immer nur kurz, da kann man nicht über alles reden. Wir erzählen uns unsere Probleme.“ Für Yeboah sind solche Gespräche nicht immer leicht, denn viele „Probleme“ sind finanzieller Art. „Ich bin eigentlich nicht der älteste von uns Brüdern, aber wenn wir zusammensitzen, habe ich schon die entscheidende Rolle. Natürlich muß ich meine älteren Brüder und meine ältere Schwester respektieren, und wenn ich helfen kann, helfe ich. Aber wenn es nicht geht, bin ich derjenige, der sagt: Es geht nicht.“

Viel Lob für den wohlgeratenen Sohn

„Jaw“ ist der ganze Stolz seiner Eltern. „Unser Name ist jetzt sehr berühmt in Ghana. Wenn mein Vater durch die Straße geht, kommen alle zu ihm und loben seinen Sohn – das macht ihn schon glücklich.“ Yeboahs Eltern sind fromme Leute. Von den Baptisten traten sie zu den Zeugen Jehovas über. „Meine Mutter hätte mich lieber sonntags in der Kirche gesehen – aber ich war immer auf dem Trainingsplatz“, lächelt der wohlgeratene Sohn. Auch wenn Anthony nicht viel über seine Religion weiß, ist er dankbar für den Glauben seiner Eltern. „Früher war in Ghana die Polygamie sehr üblich. In der Generation waren die meisten Männer mit zwei oder drei Frauen verheiratet. Heute ist es besser, aber ich respektiere meinen Vater sehr dafür, daß er schon damals nur meine Mutter haben wollte. Ich habe eine starke Beziehung zu meinem Vater.“ Anders als viele Kinder in Ghana, die ihre polygamen Väter nur selten zu sehen bekommen.

Yeboah ist Ashanti, Angehöriger des dominantesten „Stammes“ im Vielvölkerstaat Ghana. Für Fragen nach einem Identitätskonflikt zwischen nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit hat er kein Verständnis: „Ich bin Ashanti. Ich bin Ghanaer. Ich bin stolz darauf, Ashanti zu sein. In Ghana kommen alle, die irgendwie wichtig sind, von den Ashanti – die Tradition in Ghana, alles. Ashanti- Leute sind intelligent, sie wissen, wie man Geld verdient. Die meisten reichen Leute in Ghana sind Ashanti. Bei der Arbeit sind wir besser als die anderen, mehr Konzentration und so. In Ghana sind die Ashanti sehr angesehen.“

Auf dem Fußballplatz bekommt man nicht viel von der Geschichte seines Volkes mit. „In der Schule haben wir ein bißchen darüber gelernt. Damals haben wir gegen die Engländer gekämpft, um die Unabhängigkeit. Die Ashanti waren gute Kämpfer und auch ein bißchen intelligenter. Es waren noch viele andere da, die gegen die Engländer gekämpft haben, und die Ashanti haben zu ihnen gesagt, „geht ihr nach vorne“, und sie gingen auch nach vorne. Die Ashanti blieben hinten, und als viele getötet worden waren, kamen die Ashanti und haben die Engländer (die waren dann vielleicht nicht mehr so viele) getötet.“

Auch über Politik erzählt Yeboah nur unsicher und leise. Er hört den Fragen sehr genau zu, ist um eine klare Antwort bemüht. Aber auf diesem Terrain kennt er sich nicht aus. Seine Arbeit ist Fußballspielen, das Herrschen haben andere übernommen. „Manchmal ist es nicht leicht in der Politik, ein bißchen kompliziert.“ Auch „ein bißchen kompliziert“ sind für Yeboah die Massaker in Nordghana zu Jahresbeginn. „Ich habe davon gehört. Aber ich weiß nichts Genaues. Das ist im Norden passiert. Die Leute da oben, die sind ganz arm, deswegen sind die manchmal nicht normal. Wenn die hören, daß der Präsident nur Geld nach Accra oder nach Kumasi gibt, werden die schon sauer.“

„In Deutschland gibt es nicht viel Spaß“

Der Norden ist weit weg und staubig, wohnen würde Yeboah dort niemals wollen. „Da zu leben ist schwer.“ Dann lieber in Deutschland? „Ich habe keine Probleme hier. Aber natürlich: mein Land ist mein Land. In Ghana wohnen meine Eltern und alle. Deutschland ist meine zweite Heimat. Ich fühle mich hier sehr gut. Wenn ich einmal nicht mehr hier lebe, werde ich immer wiederkommen, um meine Freunde zu besuchen. Nach dem Fußball in fünf oder sechs Jahren will ich nach Ghana zurück. Deutschland gefällt mir, aber nur, wenn man gut Geld verdient. In Deutschland gibt es nicht viel Spaß, hier muß man sich immer auf die Arbeit konzentrieren. Aber Ghana ist ein Land, in dem man, wenn man viel Geld verdient hat, Spaß haben kann. In zehn Jahren kann ich nicht mehr arbeiten, dann kann ich in Ghana leben.“

Yeboahs Tochter Shereena kommt in diesem Jahr in den Kindergarten. Tony ist stolz auf sie: „Sie spricht super deutsch, fast besser als ich!“ Die Heimat ihrer Eltern wird sie in zehn Jahren nur aus dem Urlaub kennen. „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich habe ja gesagt, daß ich immer wieder nach Deutschland kommen werde. Es kann ja sein, daß meine Tochter hierbleibt und sie hier zur Schule geht.“

Ein Leben ohne afrikanische Kultur ist für Yeboah unvorstellbar. „Manchmal vergesse ich meine Kultur, aber nicht immer. Die Tradition ist immer da.“ Für einen Mann, der von seinem Körper lebt, hat Gesundheit eine besondere Bedeutung. „Vor 40 Jahren hatten wir in Afrika keine Medikamente. Wir gingen in den Wald, ein Heiler war dabei. Wenn jemand krank war, trank er und wurde wieder gesund. Ich glaube, daß es das in Afrika gibt. Ich vertraue nicht allem, aber als mein Knie vorletzte Saison kaputt war, habe ich einen Naturheilkundler in Ghana konsultiert.“

Wenn Anthony Yeboah Urlaub in der Heimat macht, hat er auch dort Verpflichtungen. Das Werbegeschäft für Puma, drei Häuser in Ghana müssen versorgt werden. Für Anthony „Jaw“ Yeboah ist der „african dream“ wahr geworden. „In meinem Haus in Accra wohnt der amerikanische Botschafter – ein Monat kostet 1.500 Dollar. Nicht schlecht, oder?“