Käpt'n Mandela beginnt zu schlingern

■ Die Schonfrist ist vorbei: Südafrikas Allparteienregierung zeigt erste Risse / Profilierungen auf Kosten des ANC

Johannesburg (taz) – Nach nicht einmal drei Monaten Amtszeit scheinen die Flitterwochen für die von Präsident Nelson Mandela geführte südafrikanische Regierung der Nationalen Einheit vorüber zu sein. Südafrikas Gewerkschaftsbund Cosatu, in der Vergangenheit ein enger Verbündeter des „Afrikanischen Nationalkongresses“ (ANC), droht für den 8. August mit einem Generalstreik in der Provinz „Pretoria Witwatersrand“ (PWV), dem südafrikanischen Industriekern rund um Johannesburg. Die dem ANC verbundene Kommunistische Partei (SACP) bezeichnet Mandelas Haltung, Streiks würden das Vertrauen von Investoren untergraben, als „beunruhigend“. Und in der Nationalen Partei (NP) des ehemaligen Staatspräsidenten Frederik Willem de Klerk wird über den Sinn der weiteren Teilnahme in der Regierung diskutiert.

Zwar betont die NP in offiziellen Stellungnahmen, sie sei weiter entschlossen, eine „stabilisierende Rolle“ in der Regierung zu spielen. Aber der Parteivorsitzende, Vizepräsident Frederik W. de Klerk, erklärte gestern bei seiner ersten Pressekonferenz nach einem langen Urlaub, er würde jetzt die „zurückhaltende Rolle“, die er seit den Wahlen im April absichtlich gespielt habe, aufgeben.

Ursprünglich wurde die vom ANC gebildete Regierung der Nationalen Einheit, in der die alten Herren wie die neuen Wahlsieger sitzen, von Diplomaten und Wirtschaftskreisen als Stabilitätsfaktor begrüßt. Die frühere Apartheid- Partei NP sah darin eine Chance, weiter an der Macht beteiligt zu bleiben. Heute sehen die „Nats“ für sich nur eine Zukunftschance: Die Nationale Partei dürfe sich nicht zum Anhängsel des ANC entwickeln.

Diesen Anspruch erheben vorwiegend die Provinzfürsten der NP: Während die Reformer um de Klerk sich in der Regierung tummeln, konzentrieren sich die sogenannten „Hardliner“ auf die Regionen. An ihrer Spitze: Hernus Kriel, der ehemalige Polizeiminister, der in der Kapprovinz Südafrikas einzigen NP-Ministerpräsidentenposten innehat. Ihn und seine Bundesgenossen stört unter anderem, daß Justizminister Dullah Omar (ANC) trotz aller Widerstände und Zusicherungen, die vor der Wahl gegeben wurden, eine „Wahrheitskommission“ zur Aufklärung der düsteren südafrikanischen Vergangenheit durchboxen will. Die Kommission soll politische Übergriffe der Sicherheitskräfte in der Apartheid-Zeit unter die Lupe nehmen.

Nelson Mandelas größtes unmittelbares Problem dürften gegenwärtig allerdings die Gewerkschaften darstellen. Arbeiter in der Bergwerks-, der Metall-, der Chemieindustrie und im Fernsprechwesen beschlossen in der letzten Zeit Streiks, nachdem Lohnverhandlungen scheiterten. Ein Grund: Die Arbeitgeber schalteten auf stur, weil sie auf Regierungsunterstützung hoffen. Tatsächlich befindet sich Mandelas Regierung in der Zwickmühle: Will sie sich ihre Sympathien an der Basis nicht verscherzen, müßte sie sich auf die Seite der Arbeiter schlagen. Will sie das Vertrauen der Wirtschaft nicht verlieren, muß sie deren Interessen im Auge behalten. Und Gewerkschaften wie Arbeitgeber wollen bei den gegenwärtigen Lohnkonflikten nicht nur die eigenen Kräfte messen, sondern auch das Verhalten der Regierung testen.

Klar ist, daß schwarze Arbeitnehmer drei Monate nach den ersten demokratischen Wahlen Südafrikas immer noch auf Verbesserungen warten. In diesem Jahr kletterte die Zahl der wegen Streiks ausgefallen Arbeitsstunden auf bisher 1,2 Millionen – 1993 betrug die Zahl im gleichen Zeitraum 700.000. Das sieht auch Mandela ein: „Arbeiter haben hohe Erwartungen“, erklärte er nach einer dreitägigen Klausurtagung der ANC-Spitze, „sie sehen die Privilegien anderer, die sie immer noch nicht haben.“ Willi Germund