Beim Pinsel des Hl. Buster Keaton

■ Sechs Bremer KünstlerInnen stellen „Ersatzreliquien“ aus: Magische Überreste aus dem Alltag der Großen

Goldene Zeit des Mittelalters als Gegenstände, Geschichten und die Gefühle gläubiger Massen im Reliquienkult zu einer Einheit verschmolzen. Die Windeln Jesu, Stroh von der Krippe, der Rock des Herrn, Splitter vom Kreuze Christi - es waren banale Gegenstände unbekannter und oft zweifelhafter Herkunft, die kluge Pfaffen mit den Biographien und Legenden heiliger Personen verbanden. Die Dinge wurden zum anschaulichen Medium für das Verschwundene, Vergangene und fromm Ersehnte. Der katholische Reliquienkult war eine Performance die über die Jahrhunderte ging. Sechs KünstlerInnen schreiben diese Idee jetzt im protestantisch-aufgeklärten Bremen fort. In einer ehemaligen Konditorei präsentieren sie ihre Ersatzreliquien.

Ersatzreliquien deshalb, weil es sich nicht um körperliche Überreste von Heiligen, also echte Reliquien, handelt. Wo einstmals Mandelbogen, Torten und Bienenstich die Leckermäuler erfreuten, haben jetzt die KünstlerInnen ihre Objekte zu einem Augenschmaus ausgebreitet.

„Alles hat damit begonnen, daß sich unsere Gruppe an einem Abend über die verschiedensten Lebensläufe unterhalten hat“, erläutert die an der Ausstellung beteiligte Malerin Anja Lutscher die mystischen Anfänge des denkwürdigen Unternehmens. „Dann haben wir Gegenstände oder Ersatzreliquien gesucht und Geschichten erfunden, um uns Lebensläufe anzuempfinden, für die wir uns interessieren.“ In der mittelalterliche Reliquienkultur habe man das nicht anders gemacht, erklärt die Malerin.

Ihre Ersatzreliquien finden sie und ihre KollegInnen im Keller, in Speichern, auf der Straße oder am Strand. „Wenn mir die ästhetische Qualität eines Gegenstandes ins Auge fällt, greife ich zu“, sagt Anja Lutscher. Dann suche sie den Bezug zu einem Lebenslauf ihrer Wahl. Bei der Ersatzreliquie Buster Keatons stand der Fund eines Pinsels am Anfang, der sich mit der Assoziatiton der glatten Wangen des Stummfilmstars verband. Seither eignet dem Pinselstück die besondere Würde, ein Rasiergerät Buster Keatons gewesen zu sein.

Auf schwarzen Sockeln, auf rotem und blauem Samt oder unter Glasstürzen präsentieren die KünstlerInnen ungefähr 150 solcher Objekte: die Haarspange Steffi Grafs, Muhammad Alis Babywaage, zwei Zigarettenpäckchen von James Dean, ein gestricktes Entlein aus Peter Handkes Knabenjahren oder Hand und Fuß einer geheimnisvollen Zwergenrasse.

Und zu jeder Ersatzreliquie gibt es in einem Karteikasten das Versprechen auf die Authentizität: ein Dokument, das Herkunft und Bedeutung der Ersatzreliquie beschreibt. „Ohne Geschichte wäre das Objekt natürlich wertlos, die gehört zu seiner Substanz“, erklärt Anja Lutscher. Zum Beispiel die Socke von James Joyce, die hinter Glas (Gott sei Dank) an der Wand hängt. Ihr symbolisches Gewicht steigt beträchtlich, wenn der Betrachter erfährt, daß Joyce diese Socke schon in Dublin trug, sie in Paris verlor und trotz hartnäckigen Suchens nicht mehr aufzufinden vermochte. Als ein glücklicher Umstand sie ihm doch wieder in die Hände spielte, zog er aus den Erlebnissen der Socke die Inspiration zu seinem „Ulysses“. Nun ist das intime Kleidungsstück in Bremen wieder aufgetaucht.Genauso wie der in einem Fläschchen versammelte Angstschweiß Karls des Kühnen (1433-1477), den er in seiner Todesstunde auf dem Schlachtfeld von Nancy vergoß.

Die KünstlerInnen schwanken bei ihrer Arbeit zwischen wohlwollender Ironie und frommen Schauer. „Wir nehmen den Reliquienkult um Gegenstände berühmter Personen durchaus ernst“, sagt Anja Lutscher. „Ein Fingernagel verwandelt sich plötzlich zu einem Wunderding, wenn ich mir ausdenke, der stamme von Goethe.“

Ihr Mitstreiter, der Künstler Jens Hauenschild, sieht das entspannter: „Es geht um den fun, wenn wir einen unscheinbaren Alltagsgegenstand mit einer schönen Geschichte durchdringen.“ Alois Bierl

Der Ersatzreliquienhandel in der Feldstraße 39 lädt noch bis zum 20. August zur andächtigen Betrachtung ein; Montag bis Freitag von 15- 18 Uhr und samstags von 10 - 13 Uhr. Am 10. August gibt's um 19 Uhr eine Talk-Show zum Thema. Am 20. August schließt der Ersatzreliquienhandel mit einer großen Tombola.