Michelangelo-Kur für Plattenbauten

■ Fünf Künstlergruppen gestalten Giebelwände in Marzahn und Hellersdorf

Die hellblaue Wand mit den weißen Phantasiefiguren fällt sofort ins Auge. Die Fassadenmalerei eines mexikanischen Künstlers soll helfen, sich in dem monotonen Häusermeer der Berliner Plattenbausiedlung Hellersdorf zu orientieren. Fünf Künstlergruppen sind beauftragt, 21 Giebelwände zu verschönern. Michelangelo-Motive oder Plastiken zieren bereits 14 graue Häuser.

Über 700.000 der 1,3 Millionen Menschen im Osten Berlins leben in industriell gefertigten Plattenbauten, wie sie seit den 60er Jahren überall in der DDR massenhaft entstanden. Allein die drei Berliner Großsiedlungen Marzahn, Hohenschönhausen und Hellersdorf am östlichen Stadtrand – ein endloses Häusermeer mit fünf- bis 25stöckigen Blöcken – beherbergen rund 350.000 Bewohner.

Die Wohnungsbaugesellschaften geben sich viel Mühe, das Leben „in der Platte“ attraktiver zu machen. Hauseingänge werden individueller gestaltet, Höfe bepflanzt, Tausende Bäume gesetzt und Spielplätze angelegt. Der Senat hat dafür bisher 400 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Eine Milliarde Mark werden bis 1996 in die „Kur für die Platte“ gesteckt: Instandsetzung von Dächern und Fenstern, wärmedämmende Fassaden, Sanierung von Leitungen.

„Wir haben das Ziel, den gesamten Bestand in zehn Jahren in Schuß zu bringen“, sagt Monica Schümer-Strucksberg, in der Senatsbauverwaltung zuständig für Großsiedlungen. „Die Ost-Siedlungen haben viel bessere Aussichten, als die West-Siedlungen je hatten.“ Ihr „Zukunftspfund“ sei die vorzügliche Lage mit kurzen Ausflugswegen ins Umland und direkter Verbindung mit der Innenstadt mittels U-, S- und Straßenbahn.

Eine freundlichere Atmosphäre soll dazu beitragen, die Sozialstruktur zu erhalten. Anders als in westdeutschen Trabantenstädten wohnt in Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen der Professor neben dem Arbeiter, die Ärztin neben der arbeitslosen Stenotypistin. Die Bevölkerung ist jung und gut ausgebildet, die Arbeitslosenquote geringer als anderswo. In Hellersdorf, mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren „jüngster“ Berliner Bezirk, habe jeder zweite Bewohner Abitur, Fach- oder Hochschulausbildung, so der Sprecher der Wohnungsbaugesellschaft, Olaf Dietze.

Dietze kann ebensowenig wie seine Kollegen in Marzahn und Hohenschönhausen feststellen, daß überdurchschnittlich viele Leute wegziehen. Eine Mieterbefragung in Marzahn, Deutschlands größter Trabantenstadt, ergab, daß 79 Prozent der Bewohner gern in ihrem Bezirk leben, in Hohenschönhausen sind es 81 Prozent. Die Zufriedenheit mit der Wohnsituation fällt allerdings wesentlich geringer aus. „Man hört hier alles aus den Nachbarwohnungen mit“, klagt der 48jährige Ingenieur Herbert Gram, der mit seiner Familie seit 1985 in einem Elfgeschosser in Hohenschönhausen lebt. Außerdem fühle sich niemand mehr für das Wohnumfeld verantwortlich. Die Folge seien ziemlich viel Dreck und Unordnung. „Die Anonymität ist gewachsen.“ Doch er glaubt, daß in zwei bis drei Jahren alles viel besser sei. Ganz anders die 28jährige Angestellte Rita Pahlke aus Hellersdorf: „Mir gefällt es ganz gut hier.“ In ihrem nur fünf Stockwerke hohen Block sei die Atmosphäre familiär. Die Nachbarn paßten gegenseitig auf die Kinder auf, für die es auch schöne Spielplätze gebe.

Den mit steigendem Einkommen wachsenden Ansprüchen an Wohnkomfort versuchen die Baugesellschaften durch Neubauten zu entsprechen. Häuser werden aufgestockt, Blockecken bebaut oder neue Siedlungen mit gehobenem Standard errichtet. So sollen die Leute in ihren Bezirken gehalten werden. Versucht wird auch, etwas für die Jugendlichen zu tun, die mangels ausreichender Freizeitmöglichkeiten gelangweilt in den Hauseingängen herumlungern, Briefkästen zerstören und Wände beschmieren. Skateboard-Bahnen, Streetball-Körbe und Jugendkeller sollen Abhilfe schaffen.

Die Kids können auch selbst mit anpacken. So wird zur Zeit in Marzahn ein früherer „Freßwürfel“, in dem Schüler zum Essen kamen, in Selbsthilfe zu einem Kinder- und Jugendklub umgebaut. „Die 10- bis 14jährigen halfen bei den Abrißarbeiten begeistert mit“, erzählt Andreas Büsching von der Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau, die das Projekt steuert. Dahinter steht die Idee: Die eigene Arbeit zerstört niemand gern. Margret Scholtyssek (dpa)