Sanssouci
: Vorschlag

■ Sommerschlußverkauf in Berlin - eine hitzefreie Empfehlung / Nachschlag * Das Humanorium - Kunst-Lustwandeln im Reich der Sinne

Ich brauchte diese Hose. Sonst hätte ich nicht Karstadt am Samstag nachmittag während des Sommerschlußverkaufs aufgesucht. Es war mein akuter Bekleidungsnotstand, weder Rinderwahnsinn noch Hitzschlag: die Schusseligkeit, seine nagelneuen Surfshorts im Strandbad Wannsee zu verbummeln.

Also Karstadt: „Sommer Schluß Aus“, so heißt das hier, und man wundert sich, wieso sich bislang niemand fand, dieses realitätsferne Motto abzuändern. Doch dann geht man zwei Schritte hinein und merkt: die haben recht! Schluß ist's mit dem Sommer, aus mit der Hitze, verflogen sind Durst und Mattigkeit – hier bleib' ich. Diese Kühle ist unbeschreiblich, und man schließt die Augen und läßt sich leicht und willenlos von der flutenden Menge in irgendeine Richtung treiben. Leicht schwebt man dahin, hört Wellen plätschern, Palmen rauschen und – stößt recht hart mit der Nase an kühles Glas. Ich bin in der Zoo-Abteilung, direkt vor dem Aquarium mit den bengalischen Kampffischen, ganz in Rot und winzig klein. Mit wem die wohl kämpfen, fragt man sich. Aber da die zwei (12,50 DM das Stück übrigens nur, denn „Wir räumen – Sie sparen“) voneinander wie Raubtiere durch eine Glasscheibe getrennt sind, gegen die sie vergeblich anschwimmen, würden sie wohl gerne aufeinander losgehen. Im Aquarium klebt ein Saugsalmler träge am Glas, das seine Freiheit begrenzt. 75 Mark soll er kosten, und die einzige Eigenschaft des Saugsalmlers ist doch wirklich, sich festzusaugen, den ganzen Tag. Vielleicht ein Therapiefisch für sommernervöse Menschen. Sein Nachbar, der rote Kampffisch, ist jedenfalls interessanter. Außerdem gibt's Krebse, Garnelen und haarige Spinnen und immer wieder kleine bunte Salmler zwischen wogenden Wasserbäumen oder vor korallenbunter Unterwassertapete. Nur die Badehose, ja also, wo gibt's denn die jetzt?

Ein kleiner Ständer, eigentlich ein Ständerchen, verloren zwischen Schokoladenregal und Unterhemdenwühltisch. Das ist alles? So weit ist der Sommer schon fortgeschritten? Wir sind zu viert, die wir enttäuscht die wenigen Modelle prüfen. 85 Mark für ein winziges blumenbemustertes Tangateil? Das finden wir immerhin gemeinsam komisch („Jeder Tag, an dem du nicht gelacht hast, ist ein verlorener“ ist das Motto der Roncalli-Verkaufsausstellung). Dann gibt es noch einen silberschwarzen, löchrigen Vollkörperbadeanzug, der sich wohl erst im nächsten Sommer so recht durchsetzen wird. Aber schon zieht eine jungdynamische Frau ihren glatzköpfigen, schmerbäuchigen Freund vor den Badehosenständer, greift entschlossen zu eben jenem Modell und meint nur: „Ist der nicht total abgefahren?“ Er stockt kurz, spürt unsere vier hämischen Blicke und meint verlegen lächelnd: „Mönsch, der ist ja wirklich, also toll! Genau das Richtige für mich. Ob's den im selben Muster auch als Shorts gibt?“ Es folgt ein aufgebrachter Streit über das tief konservative Wesen des Verweigerers, der dann etwas bedrückt, aber einsichtig den Anzug kauft. Wir vier entschließen uns alle für eine pippigelbe Boxershorts, die mit zehn Mark das einzige erschwingliche Exemplar darstellt. Und während die Lautsprecheranlage dreist verkündet: „Der nächste Winter kommt bestimmt. Unsere neue Winterkollektion – schon bis zu 50 Prozent reduziert“, verlasse ich zufrieden die kühle Oase. Sommer in Berlin: Wenn nicht Wannsee, dann Karstadt! Volker Weidermann

NachschlagDas Humanorium – Kunst-Lustwandeln im Reich der Sinne

Wo alle über die anhaltende Hitze stöhnen und Berlin gleich sämtliche europäische Temperaturrekorde schlägt, da kann zumindest für knapp anderthalb Stunden ein ausgebauter Altbaukeller dazu verhelfen, wieder Herr seiner Sinne zu werden.

Im Humanorium, oder auch Museum der Sinne genannt, muß man Leitern rauf- und runterklettern, durch nachgestellte riesige Gedärme kriechen und seinen Weg auf anderen verschlungenen Pfaden durch das Labyrinth des menschlichen Körpers finden. Das alles fällt bei einem Temperaturgefälle von mindestens 15 Grad nicht schwer, zumal man dabei herrlich unter der Erde lustwandeln kann. Dort gibt es Guckkästen mit allerhand Kuriositäten, Spiegel und einen Kasten für das voyeuristische Auge. Flaschen, Dosen, diverse andere Gefäße und eine Kommode mit -zig Schubladen nebst ebenso vielen Gerüchen reizen die Nase. Unter den vielen „Ahhs“ und „Ohhs“ entrutscht einem auch mal ein „Igitt“, und man möchte dann lieber nicht wissen, in was man gerade seine Nase gesteckt hat. Zur Benutzung nicht zu empfehlen sind in Anbetracht der anderen BesucherInnen und der Warnung vor Salmonellen die aufgehängten Leckwände, die unter anderem mit kleinen Süßigkeiten locken. Aber unsere Sinne funktionieren ja manchmal auch ohne direkten Verkehr.

Seinem Tastsinn hingegen sollte man freien Lauf lassen: Verschiedene Stoffe und Materialien im Gegensatz und Vergleich zu erfühlen ist Balsam für die Hände. Und wenn man in eine Blackbox hineinfaßt, einen undefinierbaren Gegenstand berührt und sich zwei Stunden später immer noch nicht sicher ist, was man da eigentlich angefaßt hat, ist die Irritation der Sinne perfekt.

Bevor man in das schummrige Labyrinth eingelassen wird, gibt es zur Einstimmung eine Light- und Sound-Show. Dann wird man sich selbst, seinen Sinnen und ein paar merkwürdigen Gestalten wie der Boudoireuse und dem Fresser überlassen. Ein Weg hinaus aus dem Labyrinth führt durch ein nachgestelltes Ohr. Darinnen ist es vollkommen dunkel, es scheppert und klirrt, und die einzige Hilfe bieten einem die tastenden Hände und A. Kustik, der kleine Mann im Ohr. „Im Labyrinth verliert man sich nicht, man wirrwarrt und findet sich.“ Also dann hinein! Petra Welzel

Das Humanorium – Museum der Sinne. Labyrinth. Katzbachstraße 19, 10965, Kreuzberg, Kartentelefon: 785 46 23, bis 2.10. täglich außer Mo. um 17 und 20 Uhr. Sa./So. auch um 15 Uhr. Kinder- und Jugendgruppen Mi. und Do. 15–17 Uhr.