: „Die allgemeine Dienstpflicht verhindern“
■ Roland Wünsch, Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, über Kanzler Kohls Peace Corps und die Massenverweigerung
taz: Bundeskanzler Kohl will Wehrpflichtige in Zukunft auch in weltweit einsetzbaren Peace Corps einsetzen, sein stellvertretender Fraktionschef Gerster will sie in den Polizeidienst stecken. Was soll das alles?
Roland Wünsch: Wir denken, daß dahinter ein wesentlicher Befreiungsschlag steckt, nämlich die Rettung der Wehrpflicht. Die Wehrpflicht steht stark unter Druck. Sie hat keine Verwendung für Wehrdienstpflichtige, und die Planung geht ja auch in eine ganz andere Richtung, die durch das Verfassungsgerichtsurteil abgesegnet worden ist, nämlich internationale Kampfeinsätze. Und da kann man keine Laienschar aus Wehrdienstleistenden hinschicken, da braucht man echte Profis. Vor dem Hintergrund muß natürlich das System Wehr- und Zivildienst gerettet werden. Das funktioniert nur dann, wenn ich zusätzliche Optionen schaffe, wo ich Wehrpflichtige unterbringen kann. In einer Bundeswehr, die reduziert und gleichzeitig professionalisiert wird, ist dafür kein Raum mehr.
Wird dadurch eine Freiwilligenarmee plausibel und die Wehrpflicht überflüssig?
Nein, es gibt eine Untergrabung der Bundeswehr in ihren bisherigen Strukturen. Es läuft darauf hinaus, daß ich eine Kampftruppe habe und auf der anderen Seite über ein paramilitärisches Hilfskorps verfüge. Und so wird die Wehrpflicht gestützt.
Wenn plötzlich alle Kriegsdienstverweigerer abwarten würden, ob sie überhaupt gezogen werden, könnte die Bundeswehr nicht einmal jeden zweiten einberufen. Wird sich diese Situation mit der Reform der Bundeswehr zuspitzen?
Das tut sie ohnehin schon. Die Bundeswehr hat einen hohen Überhang von Wehrpflichtigen, die sie gar nicht einzieht. Zur Zeit sind das rund 60.000 Leute. Und damit verstößt sie gegen die Gleichbehandlungsgebote. Im Bereich des Zivildienstes werden nahezu 100 Prozent aller Antragstellenden zum Dienst gezogen. Die Bundeswehr muß jetzt diesen Überhang und die Ungleichbehandlung abbauen. Dazu dient jetzt die Idee der Hilfskorps und des Polizeidienstes.
Ein Schritt in Richtung mehr Wehrgerechtigkeit?
Pro forma ja. Bloß Gerechtigkeit im Unrecht kann es nicht geben. Wir lehnen alle Zwangsdienste ab.
Peace Corps sind in anderen Ländern nicht nur mit männlichen Helfern besetzt. Kommt mit der Einbindung dieser Korps in die Wehrpflicht die allgemeine Dienstpflicht auch für Frauen?
Mit welcher Argumentation will man denn Frauen verbieten, an solchen Peace-Corps-Einsätzen teilzunehmen? Dies ließe sich nur durch eine allgemeine Dienstpflicht rechtfertigen. Damit begibt man sich aber international aufs Glatteis, weil das nach vielen Konventionen verboten ist – nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in Konventionen der internationalen Arbeitsorganisationen und der UN-Charta. Also, weg mit der allgemeinen Wehrpflicht.
Mit welchen Strategien sollten PazifistInnen und Kriegsdienstverweigerer gegen die Wehrpflicht vorgehen? Warten, bis die Wehrungerechtigkeit immer größer wird, oder ist Massenverweigerung die einzige Alternative?
Wir denken, daß Massenverweigerung durchaus eine sinnvolle Option ist. Sie wird ja auch tagtäglich praktiziert, bloß nicht so bezeichnet. Die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer steigen laufend. Was für uns jetzt im Vordergrund steht, ist halt, zu verhindern, daß dieses System Wehrdienst umgebaut wird in eine allgemeine Dienstpflicht.
Werden sich für die beiden neuen Dienste viele Wehrpflichtige freiwillig melden? Bei Katastrophenschutz sieht es ja bislang mau aus. Die Wehrpflichtigen konnten ja ohnehin auch jetzt schon freigestellt werden.
Das ist schwer einzuschätzen. Ich denke, daß sich relativ wenige für ein Peace Corps melden werden, nach all der berechtigten Kritik an den Hilfsleistungen, an denen sich die Bundeswehr in ihren militärischen Strukturen versucht hat. Es ist deutlich geworden – Somalia hat das ganz klar gezeigt –, daß zivile Hilfsorganisationen effizienter Hilfe leisten können, sei es Katastrophenhilfe, sei es Aufbauhilfe. Von daher denke ich, daß die Kritik an solchen militärischen Hilfsleistungen auch in den Köpfen verankert ist. Das Peace Corps, das Kohl angedacht hat, ist so eine Hilfsleistung. Ich denke, das Konzept wird nicht soviel Resonanz finden. Auch der angedachte Polizeidienst wird keinen großen Erfolg haben.
Geht es Kohl und der Hardthöhe darum, die Wehrpflicht und die Bundeswehr wieder gesellschaftsfähig zu machen?
Natürlich haben wir schon seit längerer Zeit die Tendenz, daß Militär wieder als normaler Bestandteil einer sich normal verstehenden Gesellschaft verankert werden soll. Das merkt man auch an den Fernsehwerbungen der Bundeswehr. Andererseits denke ich, daß diese Debatte jetzt zurückgeht auf die Problematik Wehrdienst, Zivildienst und Wehrgerechtigkeiten. Aber um das zu lösen taugen diese Ideen überhaupt nichts. Interview: Sven Christian
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