Abschiebung in Osterholz-Scharmbeck: „Wir sind nur das ausführende Organ“

■ Hysterie-Anfall verhinderte Abschiebung einer kurdischen Familie

Abschiebe-Alltag in Deutschland, in Osterholz-Scharmbeck, um genau zu sein: Die kurdische Familie Ucar soll in die Türkei abgeschoben werden. Alles ist seinen bürokratischen Gang gegangen, Asylanträge wurden gestellt und abgelehnt wie fast alle Anträge von Asylbewerbern aus der Türkei. Abgelehnt wurden auch der Eilantrag und die Eingabe an den Petitionsausschuß beim Landtag in Hannover. Jetzt leitet die Behörde „aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ ein, denn die Ucars sind zwar Kurden, kommen aber aus der Provinz Kahraman-Maras und für das Gebiet gilt der niedersächsische Abschiebestopp nicht.

Am letzten Freitag war es soweit: Mittags um 13 Uhr standen drei PolizistInnen und zwei Verwaltungsvollzugsbeamte bei der sechsköpfigen Familie vor der Tür, um sie abzuholen. Zwei Stunden Zeit zum Kofferpacken wurden gewährt. Hassan, der 18jährige Sohn der Familie, setzte eine Telefonkette in Gang und in kürzester Zeit versammelten sich 20 Personen in ihrem Wohnzimmer. Die Gruppe der UnterstützerInnen ist bunt gemischt und setzt sich aus MitschülerInner, LehrerInnen, Nachbarn, Mitgliedern des Arbeitskreises gegen Ausländerfeindlichkeit und anderen AusländerInnen zusammen.

„Aus den Unterlagen geht hervor, daß die Atmosphäre entspannt und harmonisch war“, sagt der Koordinator im Abschiebewesen Malchow aus Lüneburg. „Die hatten sogar schon die Koffer gepackt.“ Daß diese Ruhe eher trügerisch war, stellte sich schnell heraus. Der Familienvater konnte die innere Anspannung nicht aushalten, bekam einen Anfall und steigerte sich in eine Hysterie hinein. Dabei bedrohte er seine Frau so massiv, daß die BesucherInnen eingreifen mußten. Die BeamtInnen, obwohl mit Deeskalationsmaßnahmen vertraut, konnten die Situation nicht mehr befrieden und brachen daraufhin die Aktion ab. Eine Abschiebung mit einer so instabilen Person hätte für alle Beteiligten ein hohes Sicherheitsrisiko bedeutet.

Im Moment ist der Durchführungsauftrag der Abschiebung an den Landkreis Osterholz-Scharmbeck zurückgegeben. Auch beim Landeskriminalamt in Hannover heißt es. „Herrin des Verfahrens ist der Landkreis.“ Das sieht Heike Schuhmacher, Dezernentin des Ordnungsamtes, zu dem die Ausländerbehörde gehört, nicht ganz so. „Wir sind nur das ausführende Organ.“ Auf die Frage, warum sie nicht ihre Kompetenz ausnutzt und eine Duldung erteilt, antwortet sie: „Wir gehen davon aus, daß die Gerichte richtig entschieden haben und wollen nicht anfangen eigene Kriterien zu entwickeln. Die Abschiebung ist jetzt zu vollziehen.“

Zur Vorgeschichte: (die taz berichtete im September 1993) Die kurdische Familie kam 1990 in die Bundesrepublik, weil ihnen die mehr oder weniger verhüllten Drohungen ihrer Nachbarn immer mehr Angst machten. Dazu kam, daß in der Familie nur der Vater richtig türkisch spricht, Mutter und Kinder sprechen kurdisch, was offiziell damals nicht erlaubt war. „Wir konnten gar nicht richtig zur Schule gehen, weil dort nur türkisch gesprochen wurde“, erzählt Hassan. „Außerdem wurden wir von den anderen Schülern ständig deswegen gehänselt.“ Die Familie entschied sich, mit Hilfe einer Schlepperorganisation nach England zu fliehen, wo der Großteil ihrer Verwandten lebt. Am Ende ihrer Reise fanden sie sich dann allerdings unverhofft in Deutschland wieder.

Hier reihten sie sich in die Schlange der AsylbewerberInnen ein und stellten im März 1990 ihren ersten Antrag, der ein Jahr später abgelehnt wurde. Die Ucars entschieden sich dann im März 1992, freiwillig auszureisen. Allerdings nicht, wie vorgesehen, zurück in die Türkei, sondern zu den Verwandten nach England, da mittlerweile die gesamte Familie die Türkei verlassen hatte. Für diese Aktion hatten sie sich wiederum von Schleppern gefälschte Pässe besorgt. Auf dem Luxemburger Flughafen war jedoch Endstation, der falsche Paß der Mutter war bereits abgelaufen und das fiel auf.

Die Familie wurde nach Deutschland zurückgebracht, wo gerade ein Abschiebestopp für KurdInnen in Kraft getreten war, so daß die Ucars bis zum August 1992 sicher waren. Daraufhin stellten sie einen zweiten Asylantrag für die ganze Familie, der jetzt im Juni abgelehnt wurde. Danach hätten sie 14 Tage lang freiwillig ausreisen können, was den Vorteil hat, daß sie jederzeit mit einem Touristenvisum wieder in die BRD kommen können. Nach einer Abschiebung hingegen, wird ihnen für die kommenden zehn Jahre die Einreise verwehrt. Der Rechtsanwalt der Familie sah jedoch eine Chance, für den mittlerweile in der Türkei wehrpflichtigen Hassan, einen neuen Antrag zu stellen. „Wenn wir in die Türkei abgeschoben werden, holen die uns doch gleich zum Verhör ab, weil wir angeblich durch unsere Flucht das Ansehen der Türkei geschädigt haben und danach werden die mich gleich beim Militär einziehen“, befürchtet Hassan. „Das heißt doch, daß ich gegen Kurden eingesetzt werde. Ich soll auf meine eigenen Leute schießen.“

Gudrun Kaatz