„Es ist fast wie ein Orgasmus“

Der neue Hit am Sporthimmel: Skysurfen / Bei 220 Stundenkilometern mit einem Brett unter den Füßen sechzig Sekunden im freien Fall  ■ Von Patricia Pantel

Der Zeiger des Höhenmessers klettert ohne Unterlaß nach oben: 500 Meter, 1.000 Meter, 1.500 Meter. In dem engen PC-6-Turbinenflugzeug ist kein Wort mehr zu verstehen. In der Kabine steht die Luft vor Hitze und Schweiß. Der 18jährige Göran hockt zusammen mit neun weiteren Wagemutigen dichtgedrängt am Boden der Maschine. Am Körper einen windschnittigen Ganzkörperanzug, auf dem Rücken einen Fallschirm und unter den Füßen ein Snowboard. Göran will nicht nur Fallschirmspringen, sondern Skysurfen.

„Mit einem Brett unter den Füßen kannst du da draußen richtig schnell langzischen, es ist einfach ein starkes Gefühl.“ Auf Görans Gesicht breitet sich ein Lächeln der Vorfreude aus. Der Höhenmesser zeigt 2.500 Meter an, und noch ist Göran ganz ruhig: „Wenn ich Angst hätte, würde ich da nicht rausspringen. Fallschirmspringen macht halt Spaß, und Skysurfen macht am meisten Spaß. Ich wollte mal was Neues ausprobieren“, so der Anfänger.

3.500 Meter, gleich ist es soweit. Sechzehn Minuten dauert es, bis die Pilatus Porter 4.000 Meter Höhe erreicht hat. Dann heißt es nur noch: „Exit, alles raus.“ Göran schiebt sich zur Ausstiegsluke, der Wind fegt in die Kabine hinein, und während Göran sich aus der Maschine schwingt, ruft er noch den Schlachtruf der Fallschirmspringer: „Always blue sky.“

Skysurfen ist der neue Trend auch unter den Berliner Fallschirmspringern. Und auf dem Flugplatz Fehrbellin wird schon kräftig skygesurft. „Skysurfen ist eigentlich Fallschirmspringen. Man hat die gleiche Ausrüstung, und der Unterschied besteht nur darin, daß du beim freien Fall ein Brett unter den Füßen hast.“ Olaf Biedermann springt auch mit Brett und ist Görans Trainer beim Skysurfkurs von der Berliner Fallschirmsprungschule „take off“. Auf dem Brett stehend läßt es sich superschnell durch die Luft brausen.

Erfunden wurde der neue Sport am Himmel vor circa fünf Jahren in Frankreich. In Deutschland trauten sich die ersten Surfer 1991 über die Wolken. Trainer Olaf Biedermann war einer der ersten, der mit Brett in den Himmel abhob. „Es ist halt die totale Herausforderung, da oben in der Luft das Brett zu beherrschen und über die Wolken zu surfen“, sagt der Trainer Olaf mit dem „biederen“ Nachnamen.

Für den Anfänger Göran ist es erst der zwölfte Sprung mit Brett. In 4.000 Meter Höhe sind erholsame 13 Grad, unten ganz klein der Flugplatz Fehrbellin und um Göran herum nur Luft, Wolken und „die große Freiheit“. À la Luke Skywalker braust er auf seinem Brett durch den Himmel. Mit 220 Stundenkilometern geht es abwärts. Sechzig Sekunden dauert der freie Fall. Genug Zeit, um das Schönste beim Surfen zu machen – diverse Kunststücke: „Es gibt Drehungen, Loopings, Schrauben, Rückendrehungen, und eigentlich kannst du alles machen“, erzählt Göran, „aber ich bin ja noch Anfänger, da passiert es dann manchmal, daß aus einem gewollten einfachen Salto ein ungewollter doppelter Salto wird“, fügt er verlegen hinzu.

Mit den Kunststücken ist aber spätestens 1.300 Meter über dem Erdboden Schluß. „Dann muß man mal langsam daran denken, seinen Fallschirm zu öffnen, sonst gibt's ein Problem.“ Vor dem Landen löst Göran die Schnallen des Skateboards und landet ganz graziös im Stehen, der giftgrüne Fallschirm hinter ihm wie eine Hochzeitsschleppe.

Die Skysurfbretter sind ganz normale, umfunktionierte Skate- oder Snowboards. Je nach Können gibt es verschiedene Größen. Das größte Brett von Könner Olaf Biedermann ist 1,65 Meter lang. Er hat die Skysurfausrüstung zum Großteil selber gebastelt, denn „es gibt noch keine offizielle Ausrüstung“. Und es gibt auch erst ungefähr 30 Himmelssurfer in ganz Deutschland.

Seit kurzem ist auch der 26jährige Olaf Krähn einer von ihnen. „Ich hab' zwar erst vor einem Jahr mit dem Fallschirmspringen angefangen und dabei schon Blut geleckt“, schwärmt der Neuköllner. Aber seitdem er das Skysurfen für sich entdeckt hat, scheint er dem Himmel ein Stück näher gekommen zu sein: „Es ist einfach nur stark. Man kann das gar nicht richtig beschreiben, es ist eben der Kick überhaupt“, sagt Olaf, der gerade aus dem Himmel heruntergesurft ist. Die Hyperdosis Glücksgefühl steht ihm noch ins braungebrannte Gesicht geschrieben: „Oft merke ich erst nach dem Sprung am Boden, wie schön es war.“

Olaf Krähn ist im normalen Leben Tischler und hat erst seinen fünfzehnten Sprung hinter sich: „Beim ersten Mal hatte ich total Angst, aber es ist einfach genial. Es ist fast wie ein Orgasmus.“ Bei Olaf ist die Fanatik schon so weit fortgeschritten, daß er neben dem Sprungplatz seinen Wohnwagen aufgestellt hat, seine gesamte Freizeit mit dem Fallschirm verbringt und sein ganzes Geld dafür ausgibt. Deswegen hat ihn auch seine Freundin verlassen. „Irgendwann hat sie gesagt: ich oder der Fallschirm. Na ja, und dann war es eben der Fallschirm.“ Aber eins weiß er jetzt auf jeden Fall: „Ich will nur noch eine Freundin, die auch springt.“

Aber so einfach das Skysurfen auch aussieht, und so sehr die Freiheit über den Wolken lockt, Trainer Olaf Biedermann warnt davor, einfach sein altes Skate- oder Snowboard unter die Füße zu schnallen und abzuheben: „Der Weg zum Skysurfen ist enorm schwer und lang. Man muß erst eine Fallschirmspringer-Grundausbildung machen, mehrere 100 Sprünge hinter sich haben, und dann erst darf man auch mit Brett springen.“

Wer dann mit dem Brett unter den Füßen beim Fall des Falles so richtig gut seine Loopings, Drehungen und Saltos schlagen kann, für den gibt es auch den passenden internationalen sportlichen Anreiz. Im Oktober finden in Arizona die Skysurf-Weltmeisterschaften statt. Bisher ohne deutsche Himmelsstürmer.