Erotik und Elend der Geraldine Ch.

■ Gerade ist sie 50 Jahre alt geworden, ab heute widmet 3sat ihr eine Spielfilmreihe

In einem pinkfarbenen Haute- Couture-Kostüm trippelt Tonja ihrem Juri auf dem Moskauer Bahnsteig entgegen. Stolz überreicht sie ihrem Verlobten französische Literaturzeitschriften. „Man sieht ihr an, woher sie kommt“, schwärmt die strahlende Mama.

In „Doktor Schiwago“ (1968) ist Geraldine Chaplin noch das zarte, aber anpassungswillige Prinzeßchen, das sich in Palästen ebenso wohlfühlt wie in bukolischer Armut. Zwar bleibt sie auch in ihren späteren Filmen den kapitalen Schichten treu, zunächst als Bedienstete, später als Großbürgerliche. Doch die Ehrbarkeit ihrer Figuren ist dann angeschlagen, das Verhältnis zu ihrer Kaste zerrissen.

„Mögen Sie mein Gesicht?“ fragt sie einmal in „The Moderns“, und man ist sich plötzlich nicht ganz sicher. Ihre spitze Nase visiert den Himmel an. Alles andere, die hohlen Wangen, die tiefliegenden Augen, scheinen vor der Welt zurückzuweichen. Doch Chaplin sieht nicht immer aus wie der müde Tod. Ein Triumph, auch wenn er noch so klein oder schäbig ist, und ihr magerer Körper wird für einen Augenblick zur Siegessäule der Zähen.

Chaplin ist am 31. Juli 50 Jahre alt geworden. Aus Anlaß ihres Geburtstages sendet 3sat eine vierteilige Spielfilm-Reihe, in der neben Altmans „Eine Hochzeit“ (1978), Rivettes „Theater der Liebe“ (1984), Radfords „Die letzten Tage von Kenya“ (1988) auch „The Moderns“ von Alan Rudolph gezeigt wird, für den Chaplin als beste Darstellerin 1987 in Paris prämiert wurde. In diesen Filmen verkörpert sie Frauengestalten, für die Exzesse keine Sensationen mehr sind, sondern nur Ablenkung vom erotischen Elend.

Die Bohème pflegt Freundschaft und Liebe nur mehr als pubertäre Kumpanei („Die letzten Tage von Kenya“). Als hyperventilierende Fest-Organisatorin gaukelt sie in „Eine Hochzeit“ Hysterie als Vitalität vor. Den Tod der Hausherrin und das Doppelleben der Gäste, als Seitenspringer oder Mafiafreund, kehrt sie wie Fusel unter den Teppich – als könne sie so die Zersetzung einer längst verlebten Schicht noch einmal abwenden.

In all diesen Filmen folgt auf jede Katastrophe stets ein Fest. Ein Handstreich genügt Chaplin, um bei Beerdigungen auf das kichernde Gesicht den Ausdruck angebrachter Zerknirschtheit zu zaubern. Die ehemalige Ballettänzerin hat gelernt, Haltung zu bewahren. Somnambul und kerzengerade schwebt sie auf der Leinwand, fährt ihre Arme zur Begrüßung wie kleine Antennen aus, wenn sie sie nicht gerade braucht, um ihr Kinn hochzuhalten.

Außer sich gerät sie nur beim Anblick Gepeinigter. Chaplins Figuren mögen den Schmerz mehr, als sie sich eingestehen. Sie beneiden Blutende, wie den Maler Nick Hart („The Moderns“), der bei einem Boxkampf unsportlich umgehauen wurde, als erfahre er eine Katharsis, die sie selbst niemals erleben dürfen. Auch der verhaltensgestörte Epileptiker Etienne ist für sie ein begnadeter Exorzist, der sich alle Sünden dieser Welt aus dem kranken Leib vibrieren kann („L'Adoption“, 1978).

Als Geraldine noch klein war, nahm ihr Vater, der Komiker, sie oft auf den Schoß und erzählte ihr von Rasierklingen, von zerschlitzten Augen, von Frauengesichtern, die zu Totenköpfen mutieren. Charlie Chaplin machte es Spaß, seinen Kindern Bilder aus Buñuels „Andalusischer Hund“ unters Kopfkissen zu legen.

Den radikalen Chiffren des spanischen Surrealisten begegnete Geraldine Chaplin als Schauspielerin auch in Filmen ihres langjährigen Lebensgefährten und Buñuel-Schülers Carlos Saura wieder. In Sauras Abrechnungen mit dem Bürgertum in Francos Spanien ist sie als Kindermädchen in „Anna und die Wölfe“ (1973) die Zielscheibe von manischer Sexualität, religiösem Fanatismus, Erniedrigungsprogrammen und Herrschaftswillen. Sie wird geschoren, vergewaltigt und schließlich erschossen.

Buñuel steht Pate, wenn die degenerierten Helden die Symbole ihrer Pervertierung auch in den Traumsequenzen nicht abschütteln können. Sauras Arbeiten bestimmen Geraldine Chaplins Leinwandleben nicht nur als Chronik toter Gefühle, sondern auch als Folter- und Passionsgeschichten. Schade nur, daß sie 3sat nicht im Programm hat. Birgit Glombitza

Heute 22.30 Uhr: „Theater der Liebe“; 11.8.: „Wilde Jahre in Paris“ (engl.: „The Moderns“); 18.8. „Die letzten Tage von Kenya; 25.8.: „Eine Hochzeit“