: Argentiniens „El Turco“ unter Druck
Der Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires hat Carlos Menem in Schwierigkeiten gebracht / Den argentinischen Präsidenten belastet seine arabische Herkunft ■ Von Astrid Prange
Rio de Janeiro (taz) – Gut zwei Wochen nach dem Attentat auf das jüdische Gemeindezentrum „Amia“ in Buenos Aires am 19. Juli steht Argentiniens Präsident Carlos Menem stark unter Beschuß. Um von der bisherigen Vernachlässigung der Sicherheit in dem Land abzulenken, gründete er in der vergangenen Woche ein neues „Supersicherheitssekretariat“.
Sofort nach dem Attentat setzte Menem alle Hebel in Gang, um nicht als tatenlos kritisiert werden zu können. Den Angehörigen der 96 jüdischen Todesopfer versprach er eine Entschädigung von jeweils 55.000 US-Dollar. Öffentlich räumte er ein, daß die Regierung den Bereich „Innere Sicherheit“ vernachlässigt habe, weil sie an „Anschläge dieser Art nicht gewöhnt sei“.
Argentiniens Außenminister Guido Di Tella sprang dem Regierungschef zur Seite. „Der Terrorismus hat sich in ein großes internationales Problem verwandelt“, erklärte er. Der Friedensprozeß im Nahen Osten würde in den Straßen von Buenos Aires gestört. Im Auftrag Menems forderte der Außenminister vergangenen Freitag vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York die weltweite Verurteilung von Staaten, die direkt oder indirekt terroristische Aktionen fördern.
Menem beantwortete den allgemeinen Wunsch nach verstärkter Sicherheitspolitik mit der Gründung eines sogenannten „Supersicherheitssekretariates“, dem sowohl der Geheimdienst des Militärs als auch die Polizei unterstehen sollen. Als Chef der neuen Behörde, die direkt dem Präsidenten verantwortlich ist, ernannte Menem seinen Freund Andrés Antonietti. Der Oberfeldwebel hatte vor zwei Jahren sein Vertrauen erworben, als er Menems Ex-Frau Zulema Yoma zum Auszug aus der Regierungsresidenz „Casa Rosada“ zwang.
Die Ernennung des persönlichen Freundes an die Spitze der neuen Behörde hat in der argentinischen Öffentlichkeit Kritik ausgelöst. Es wird befürchtet, daß der Präsident den Polizeiapparat nicht gegen Terroristen, sondern gegen die wachsende Opposition einsetzen will. „Das neue Sekretariat soll den Protest gegen den neoliberalen Wirtschaftskurs in den Straßen unterdrücken“, verdächtigt der Abgeordnete Raul Galvan von der Oppositionspartei UDR. Der Abgeordnete Carlos Alavarez beschuldigte Menem, der Diskussion über Innere Sicherheit durch „bürokratische Ablenkungsmanöver auszuweichen“.
Seit der Wert des argentinischen Peso im April 1991 an den US-Dollar gekoppelt wurde, ist die Arbeitslosigkeit in dem Land von 6,5 auf über zehn Prozent gestiegen. Zwar ist die Jahresinflation inzwischen auf fünf Prozent gesunken, doch über drei Millionen ArgentinierInnen sind seit der Reform ohne Beschäftigung. Aus Protest gegen Menems Wirtschaftpolitik streikten am Dienstag im ganzen Land Taxi- und Busfahrer sowie Lehrer, Justiz- und Hafenangestellte. Wirtschaftsminister Domingo Cavallo räumte ein, daß es sich bei der Arbeitslosigkeit trotz Wirtschaftswachstums um ein „beängstigendes Phänomen“ handele.
Abgesehen von den „internationalen Problemen“ wie Arbeitslosigkeit und Terrorismus macht dem argentinischen Staatsoberhaupt nach dem Attentat zunehmend seine arabische Herkunft zu schaffen. Sowohl Menem als auch seine Ex-Frau Zulema Yoma stammen aus syrischen Einwandererfamilien. Unmittelbar nach der Scheidung des Präsidenten vor zwei Jahren wurde dem argentinischen Fernsehen ein Video zugespielt, das Menems Bruder Eduardo, ehemaliger Botschafter in Syrien, Arm in Arm mit dem syrischen Waffenhändler Mundhir el- Kassar in Spanien zeigt. Kassar bekam in Rekordzeit einen argentinischen Paß ausgestellt.
Menems Schwüre, Kassar nie gesehen zu haben, wurden von dem Waffenhändler selbst dementiert. Vor der Polizei sagte Kassar aus, er sei regelmäßig in der „Casa Rosada“ ein- und ausgegangen. Die jüdische Gemeinde Argentiniens sowie die US-Regierung haben Präsident Menem, auch „El turco“ genannt, nun aufgefordert, die aktuellen Beziehungen der argentinischen Regierung zu dem Waffenhändler offenzulegen.
Das Vertrauen der jüdischen Gemeinde Argentiniens in den Aufklärungswillen des Emporkömmlings, der kurz vor seinem Amtsantritt 1989 zum Katholizismus übertrat, ist daher gering. „Die Effizienz einer Untersuchung mißt sich an ihren Ergebnissen“, erklärte der Vorsitzende der israelitischen Vereinigung, Ruben Beraja. Bis jetzt seien noch nicht einmal die Urheber des Anschlags auf die israelische Botschaft in Buenos Aires im März 1992 ausfindig gemacht worden, bei dem 30 Menschen ums Leben kamen. Zwar wurden nach dem Anschlag auf das Gemeindezentrum fünf Personen verhaftet, darunter zwei iranische Staatsbürger, aber unter den argentinischen Juden wird bezweifelt, ob es die wahren Täter sind.
Argentinien ist mit rund einer halben Million jüdischen Immigranten nach den USA, Rußland, Frankreich und Israel die fünftgrößte jüdische Kolonie. Die Einwanderung, die Ende des 19. Jahrhunderts begann, verlief in mehreren Schüben und erreichte ihren Höhepunkt während des Zweiten Weltkrieges. Doch die Eingliederung in die argentinische Gesellschaft, so der Historiker Robert Weisbrot, „wurde für viele Immigranten zum Trauma“: Der „ständige Wechsel zwischen Diktatur und Demokratie, zwischen Fremdenfeindlichkeit und Offenheit, zwischen Frieden und Krieg macht Argentinien für die jüdischen Emigranten gefährlich“, bilanziert der Autor des Buches „Juden in Argentinien“. Der Rabiner Alejandro Lilienthal, der seit einem Jahr die jüdische Gemeinde in Rio de Janeiro betreut, gibt zu bedenken, daß Terroranschläge stets ein lokales Umfeld brauchen. „Nicht alle Argentinier sind Antisemiten“, erklärte er. Doch das Land zwischen Pampa und Anden sei für Juden ohne Zweifel „unsicher“.
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