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DEP-Prozeß in Ankara eröffnet

Massive Behinderung von ZuschauerInnen / Das Verlesen der 400seitigen Anklageschrift wird mehrere Tage dauern / Damit will das Gericht die ausländischen Delegationen loswerden  ■ Aus Ankara Ömer Erzeren

Der Pulk von rund 200 Menschen ist regelrecht von der Polizei eingekesselt. Sie warten auf Einlaß in das Gerichtsgebäude in Ankara, wo sechs kurdischen Abgeordneten der „Partei der Demokratie“ (DEP) der Prozeß gemacht wird. Kurdische Frauen, die weiße Kopftücher tragen und ihre Säuglinge stillen, haben sich auf dem Bürgersteig niedergelassen. Jugendliche mit abgetragenen Schuhen stehen herum. Einer beugt sich zu den Fremden. „Solange es das kurdische Volk gibt, wird der Kampf weitergehen. Falls sie uns morden, gibt es unsere Kinder.“ Er weist auf einen Säugling in den Armen seiner Mutter. „Wir lassen unsere Abgeordneten nicht allein. Wir werden Tag und Nacht hier ausharren“, wirft ein anderer Jugendlicher ein.

Die Gruppe kann von Glück reden, daß sie es bis zu 300 Meter vor das Staatssicherheitsgericht Ankara geschafft hat. Landesweit wurden Busse, die zum Prozeß nach Ankara fahren wollten, von der Polizei abgehalten. Auch in Ankara wurden mutmaßliche Prozeßzuhörer kuzerhand festgenommen oder zurückgewiesen.

Der Prozeß sei öffentlich, hatte die Staatsanwaltschaft im Vorfeld erklärt. Doch öffentlich nicht für jedermann. Selbst die drei Europaabgeordneten Claudia Roth, Jannis Sakellariou und Maartje van Putten, deren Ankunft beim türkischen Außenministerium angemeldet worden war, harren über eine Stunde an einer der zahlreichen Polizeiabsperrungen um das Gerichtsgebäude aus, bevor sie erst nach Beginn des Prozesses eingelassen werden. Die Bemühungen des Grünen-Landtagsabgeordnete Siggi Martsch, hineinzugelangen – er wurde in den türkischen Medien als „Terroristenfreund“ denunziert –, sind dagegen ohne Erfolg. „Dieser fette, bärtige Terrorist kommt auf keinen Fall rein“, höre ich einen Kommissar in den Walkie-talkie sprechen.

Der größte Saal des Staatssicherheitsgerichtes Ankara faßt rund 300 Menschen. Eingekreist von zwei Dutzend bewaffneten Gendarmen, werden die sechs kurdischen Abgeordneten Hatip Dicle, Orhan Dogan, Sirri Sakik, Leyla Zana, Mahmut Alinak und Ahmet Türk in den Saal geführt. Ein Dutzend Fernsehkameras filmt sie ab. Es fällt kein Wort. Nur ab und zu ein Lächeln und ein Kopfnicken. Einst waren die fünf Männer und Leyla Zana, ehemalige Abgeordnete der mittlerweile verbotenen DEP, begehrte Gesprächsteilnehmer von Talk- Shows und Nachrichtenmagazinen im Fernsehen. Heute sind sie Objekte, die als Schuldige abzufilmen sind. Terroristen, die Landesverrat begangen haben und mit dem Tod bestraft werden müssen. Und doch sind sie im Gerichtssaal nicht allein. Rund einhundert Anwälte sind anwesend, um sie zu verteidigen. Viele kamen nicht hinein, weil sie keine Vollmacht vorweisen konnten. „Es ist eine Art Solidaritätsbekundung mit den Angeklagten in einem politischen Prozeß. Das ist Tradition“, merkt Rechtsanwalt Yusuf Alatas an.

Zwei kurze Anträge stellen die Anwälte gleich zu Beginn des Prozesses. Einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens, da die Anklage widerrechtlich und illegal sei. Freilich wird der Antrag vom Gericht abgelehnt. Der zweite Antrag der Verteidigung fordert, daß davon abgesehen wird, die gesamte Anklageschrift, die über 400 Seiten lang ist, vorzulesen. Auch dieser Antrag wird abgelehnt. Jedermann im Gerichtssaal weiß, daß der „Prozeß gegen die Abgeordneten der ,Partei der Demokratie‘, die als legale Maske für die Formierung des politischen Flügels der Terrororganisation PKK“ dient – so der exakte Titel der Anklageschrift – ein politischer Prozeß ist. Der Gerichtspräsident interveniert noch nicht einmal, als einer der Rechtsanwälte die nackte Wahrheit ausspricht: „Wir wissen doch, daß die Entscheidung von der Politik gefällt wird.“

Die Tagespolitik heißt zuallererst, die zahlreichen Abgeordneten und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen aus Europa und den USA, die zumeist für wenige Tage angereist sind, loszuwerden. Also wird wider alle Vernunft die ganze Anklageschrift verlesen. Das wird zwei bis drei Prozeßtage kosten, bevor überhaupt der Antrag der Verteidiger gestellt werden kann, die Untersuchungshaft der Abgeordneten aufzuheben.

In dem dunklen Saal, in den kaum Tageslicht dringt und der über eine grauenhafte Akustik verfügt, beginnt der Staatsanwalt aus der Anklageschrift vorzulesen. Der Raum leert sich nach und nach. Die Flure draußen füllen sich mit ausländischen Delegationen. Den ersten Prozeßtag hatte die Staatsgewalt fest im Griff.

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