Bluthändler vor Gericht

■ UB-Plasma-Prozeß beginnt heute / Die Anklage lautet unter anderem: Versuchte Körperverletzung in 71.302 Fällen

Frankfurt/Main (taz) – Das Bekanntwerden des Skandals erschütterte im Herbst 1993 die Republik. Durch mit dem HIV-Virus verseuchte Blutkonserven und Blutprodukte der Koblenzer Firma UB-Plasma, die an diverse Krankenhäuser und pharmazeutische Fabriken geliefert worden waren, infizierten sich mehrere Menschen mit dem sogenannten Aids-Virus. Insgesamt sollen sich in Deutschland – in den Skandal waren auch andere Firmen verwickelt – mehr als 2.000 Menschen durch verseuchtes Blut mit dem Aids-Virus angesteckt haben. Eine Folge des Skandals: Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) kündigte die Zerschlagung des Bundesgesundheitsamtes an. Es soll Hinweise auf die unsauberen Praktiken der Blutplasma-Mafia ignoriert haben. Unter Beschuß stand auch das für die Kontrolle von UB-Plasma zuständige rheinland-pfälzische Regierungspräsidium in Koblenz.

Ab morgen müssen sich der Geschäftsführer von UB-Plasma, Ulrich Kleist, und sein Assistent Bernhard Bentzien vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Neben ihnen auf der Anklagebank werden auch der Laborarzt Alexander Kressler, der Kontrolleiter Dieter Stüer und dessen medizinisch-technische Assistentin Gunhild Jacobus sitzen. Ihnen wird von der Staatsanwaltschaft vollendete Körperverletzung in mindestens drei Fällen und versuchte Körperverletzung in 71.302 Fällen vorgeworfen. Seit 1987 hätten die Angeklagten die Verseuchung ihrer Präparate mit Aids- und Gelbsucht- Viren billigend in Kauf genommen. Weiter sei bei UB-Plasma mit dem unzulässigen „poolen“ (mischen) von zwei oder mehr Blutproben verschiedener Spender ein wirkungsvoller Test auf Aids-Viren unmöglich gemacht worden. Außerdem habe UB-Plasma ab 1992 auf das vorgeschriebene „photometrische Verfahren“ zur Feststellung von Aids-Viren in Spenderblut verzichtet. Die Labormitarbeiter sollen die Blutproben nach der Zugabe eines „Testmittels“ mit schlichter „Inaugenscheinnahme“ geprüft haben.

Die Geschäfte von UB-Plasma liefen jahrelang wie geschmiert: Hauptsächlich wurden von Koblenz aus Pharmafirmen mit sogenanntem Industrieplasma zur Herstellung von medizinischen Produkten beliefert. Über eine Lizenz zur Herstellung von Humanplasma für die Erstversorgung etwa von Unfallopfern in Krankenhäusern verfügte UB-Plasma erst seit Ende 1989.

Nicht auf der Anklagebank sitzen die Mitarbeiter der Kontrollbehörde. Schon 1986 hatte eine ehemalige Angestellte von UB- Plasma den Regierungspräsidenten davon in Kenntnis gesetzt, daß die Firma wissentlich HIV-positiv getestetes Blut verkauft habe. Bei einer Kontrolle wurden jedoch lediglich „unhygienische Zustände“ im Bereich der Blutentnahme moniert. Mit den Unterlassungssünden der Landesbehörde befaßt sich inzwischen ein Untersuchungsausschuß des rheinland- pfälzischen Landtages, dessen Abschlußbericht für Ende dieses Jahres erwartet wird. Der Untersuchungsausschuß stieß im Verlauf seiner Arbeit auf den Skandal im Skandal: Eigentlich hätte UB- Plasma seit Mitte 1992 überhaupt kein Humanplasma mehr verkaufen dürfen, weil die Firma ihre gerade erst erhaltene Lizenz an das Düsseldorfer Unternehmen Octopharma verkauft hatte. Doch selbst dieser Millionendeal blieb der Kontrollbehörde beim Regierungspräsidium verborgen.

Alle Angeklagten im UB-Plasma-Prozeß sitzen – mit Ausnahme der medizinisch-technischen Assistentin – seit ihrer Verhaftung im Oktober 1993 in Untersuchungshaft. Das schon heute als „Mammutprozeß“ apostrophierten Verfahren, ist zunächst bis zum 26. Oktober terminiert. Klaus-Peter Klingelschmitt