: Schicksalhaftes Brainstorming
■ „Spiegelschrift“: Kulturschaffende von Welt reagieren aufs Kunstgutachten
Als die Schließung des Schiller Theaters beschlossene Sache war, wurden die Berliner hellwach. Im Foyer fanden Plakataktionen statt, auf der Bühne wurden spontan bunte Transparente entfaltet und dazu getrillert, gepfiffen und getrommelt – für kurze Zeit war das Theatersterben ein Happening. Anders die bildende Kunst: Dort schreibt man dem Senator für kulturelle Angelegenheiten aus Protest Bücher. Gegen das im Februar von Wim Beeren, Leiter des Amsterdamer Stedelijk-Museum, und Kasper König vom Frankfurter Portikus veröffentlichte „Gutachten zur Situation der Bildenden Kunst in Berlin“, das der Hauptstadt nicht bloß Provinzialität bescheinigte, sondern gleich Abwicklungsvorschläge mitlieferte, meldeten sich drei Dutzend Betriebsdenker und -lenker zu Wort.
Insgesamt 75 AutorInnen waren um einen Kommentar zur Lage der Situation gebeten worden, fast die Hälfte hat geantwortet – für die Herausgeber der „Spiegelschrift“ herrscht damit Diskussionsbedarf. Doch die Mehrzahl der Beiträge kommt nicht über die krause Rhetorik professioneller Eröffnungsredner hinaus. Zäh hangeln sich Satzwürmer an Panoramabildern entlang: „Im Sinne des wiedergewonnenen Angebots zur Offenheit und Durchlässigkeit hat Ganz- Berlin die Schicksalschance, nicht nur, wie in den vergangenen Jahren Westberlin, die Sonne für sich im Westen aufgehen zu lassen, sondern sich dem kulturellen Durchfluß der Begegnung zwischen Osteuropa und Westeuropa wieder so zu erschließen, wie es damit schon einmal begonnen hatte. Durch seine Lage ist Berlin dazu prädestiniert.“ Soweit Eberhard Roters, seinerzeit Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie.
Andere Meinungsträger heben – flüchtig vom Berliner Elend beeindruckt – auf nationale Bedeutungshuberei ab. Dann schweift der Blick durch Metropolen und Jahrhunderte, und schweift und schweift. Doch auch in München steht nur ein Hofbräuhaus, und in London werden pünktlich um 11 Uhr abends die Zapfhähne hochgeklappt. Selten wird von den Beteiligten die Faszination an der Großstadt außerhalb der Museen gesucht. Was bleibt, ist ein erbauliches Brainstorming zur Rettung der Institutionen: Berlin braucht vor allem mehr Kunstsammlungen, Fotoarchive, Dokumentencenter und Verwalter.
Es ist seltsam, mit welcher Einmütigkeit von noch zu schaffenden „Ereignisstätten“ (Stefan Raum) geredet wird, wo es im Grunde lediglich darum geht, Hochkultur zwischen Hamburger Bahnhof, Martin-Gropius-Bau, einer imaginären Kunsthalle und der Neuen Nationalgalerie hin und her zu schieben. Manche träumen von einer Übernahme der Guggenheim- Sammlung, andere hoffen, daß nach old Rembrandt auch Tizian und Mantegna den Weg an die Spree finden. Immerhin möchte der Kunstgeschichtler Günter Metken als einziger das Haus der Kulturen der Welt nicht missen – als „historische Schatzkammer“, wie „unsere Völkerkundemuseen“ und „das großartige Institut in Dahlem“.
Von derartiger Besitzwut angetrieben, endet die Einkaufstour im Cyberspace. Dort gelte es, Vernetzungs-Strategien wie das Internet mit Fördermitteln zu stärken: „Sollte Berlin nicht fähig sein, schon bestehende Initiativen in dieser Richtung aufzunehmen und auch institutionell zu verankern, verliert die Stadt den Anschluß an eine nahe Zukunft“, warnt Thomas Wulffen und scheint dabei zu vergessen, daß für solcherlei Begehr ein Anruf bei der Telekom genügt, egal, ob von Berlin aus oder aus der Lüneburger Heide.
Ein bißchen vernünftiger argumentieren nur die Galeristen, deren Interessen ganz diesseitig vom Kunstverkauf geprägt sind. Max Hetzler sieht das Problem im fehlenden Marktgefüge begründet. Anders als in Amerika sei Kunst in Deutschland generell nicht konvertierbar. Insofern grenzt die Anhäufung von bald 100 kommerziellen Galerien in Berlin an Irrsinn. Vielleicht ließe sich das aber auch schnell vergessen, wenn man, wie Boris Groys vorschlägt, um die Ecke jeder halbwegs tüchtigen Galerie einen guten Italiener installieren würde – „und alles andere ist nur der Überbau“. Von Köln lernen hieße dann Essen gehen. Noch hat Berlin das KaDeWe und Mousse au Chocolat anstelle von Trumpf-Pralinen. Harald Fricke
„Spiegelschrift – Zur Lage der Kunst in Berlin“, ca. 140 Seiten, mit ausführlicher Chronik ab 3.10. 1990, ist beim Verlag der Kunst Dresden / neue bildende kunst erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen