Das Wunderland der Knöpfe

SammlerInnen gehen auf die Suche nach der unbekannten Kulturgeschichte des Knopfes  ■ Von Heide Platen

Da liegt er, rund, flach, zwei Löcher in der Mitte, unscheinbar und von rührender Banalität. Er bekommt Gesellschaft und wird dabei immer außerordentlicher. Dies ist nicht einfach ein Gebrauchsgegenstand. Birgit Rother redet sich schnell in Eifer. Dies ist ein kleines Kunstwerk, und ein kulturgeschichtlich sträflich vernachlässigtes dazu: ein Knopf. Und tatsächlich, das Erkennen kommt mit dem längeren Hinsehen und der Einsicht, daß die Gewohnheit die kleinen Dinge des Alltags unsichtbar macht.

Birgit Rother ist Knopfsammlerin und hat da so ihre Erfahrungen. Ihr seltenes Hobby, in der Lokalpresse porträtiert, verschaffte ihr Einblick in die Nähkästchen älterer Damen im ganzen Ruhrgebiet. Eine Briefflut war da plötzlich über sie hereingebrochen, kleine Päckchen türmten sich auf, das Telefon klingelte pausenlos: „Über ein halbes Jahr bin ich herumgereist.“ Sie saß auf den Sofas alter Frauen, teilte deren Kaffee und manchmal auch deren Einsamkeit. Sie traf Frauen, die sich von vielem trennen mußten, aber nichts wegwerfen können. Aber weggeben schon, an eine, die das zu würdigen weiß. Und die ihnen zuhört. Denn die vielen Knöpfe, die sie bekam, sind nicht nur Knöpfe, sondern Geschichten, auch Lebensgeschichten.

Da liegt einer aus Porzellan, unschuldig weiß mit drei heiteren, bunten Blumen in der Mitte. Eine Frau hob ihn hastig vom Fußboden auf, als sie 1942 ihr Haus an der Oder verließ und in den Westen flüchtete. Er war ihre Erinnerung an die Heimat, an die Flucht, an gutes Vergangenes und schlecht Verlorenes. Ihre Kinder, erzählt sie, können das nicht verstehen und wollen davon nichts hören. Wenn dieser Knopf nun, da sie alt sei, wenigstens als Gegenstand gewürdigt wird, ist ihr das genug.

Knöpfe sind auf verschiedene Weise sammelbar: nach Materialien zum Beispiel. Und es gibt fast nichts, woraus nicht schon welche gemacht worden sind: Metalle, Holz, Keramik, Horn, Stein- und Kokosnüsse, Elfenbein und Edelstein, Stoff, Leder, Muscheln, Pappmaché. Erst in der Nachkriegszeit werde es, sagt Birgit Rother, „unübersichtlich“: „Das können spätere Sammler vielleicht aus der Distanz“ überblicken. Die verschiedenen Kunststoffe sind auch für ihr geübtes Knopf-Auge nicht immer zu unterscheiden. Knöpfe können zwei, drei oder vier Löcher, gefräste, geschnittene Stege an der Unterseite oder verankerte Drahtösen haben, aus zwei oder drei Teilen bestehen oder in Etagen aufgebaut sein. Oder es wird nach Motiven sortiert. In einem der Kästchen liegen Blumenknöpfe, eine rote Tulpe, ein pummelig gedrehtes Stoffröschen, ein Vergißmeinnicht. Oder nach Epochen vielleicht? Wie auch immer, die Qualität der Verarbeitung ist ein Kriterium für die Altersbestimmung. Ob schön oder häßlich: „So etwas könnte man heute gar nicht mehr machen. Das wäre viel zu teuer.“

Als Birgit Rother die Art-déco- Kollektion auspackt, ist die Betrachterin längst knopfsüchtig. Das SIND kleine Kunstwerke. Die graue, vierseitige Spindel mit den eleganten Längskanten, die warmkühle Materialkombination aus honiggelbem Bakelit und Silber, der wie von Hundertwasser gemalte kleine grüne Pagodenturm.

Dabei gerät die Kulturgeschichte des Knopfes ins Hintertreffen. Und die ist zum ersten noch gar nicht richtig geschrieben, zum zweiten umstritten. Reiste er schon in der Völkerwanderung nach Mitteleuropa ein, oder brachten die Kreuzritter das nützliche Utensil aus dem Orient mit? Griechinnen trugen in der Antike Knöpfe an den Oberarmteilen ihrer Gewänder. Die Steinzeitknöpfe jedenfalls, meinen ExpertInnen, verdienen diesen Namen noch nicht so recht. Sie waren aus Stein, Knochen oder Bernstein und eher Knebel als Knopf oder hatten als Schmuckgegenstand nur eine Bohrung zum Auffädeln oder, Vorläufer des Manschettenknopfes, zwei mit einem Steg verbundene Scheiben. Die hiesigen Altvorderen jedenfalls neigten eher zu Nesteln, geknüpften, geknoteten, geschlungenen Bändchen, um Unaussprechliche und Obendrüber an Ort und Stelle zu halten.

In der Bibel gibt es keine Knöpfe. Deshalb nesteln die strenggläubigen Amish People noch heute. Das negative Gegenstück des Knopfes, das Knopfloch, ist, Natur der Sache, noch schwerer dingfest zu machen. Es wird auf das 14. Jahrhundert datiert. Vorher fixierten Ösen und Schlaufen den Knopf. Blütezeiten erlebte er in der Renaissance, in Barock und Rokoko. Und er war vor allem Männersache. Knopfordnungen innerhalb der Bekleidungsvorschriften regelten Größe, Form und Material des Statussymbols. Knöpfe zu Dutzenden, mehr Zierde als Funktion, zählte da manches Herrengewand. Bei den Militärs mußten sie groß und spiegelblank poliert sein. Für Damenkleider galten auffällige Knöpfe bis ins vorige Jahrhundert eher als unschicklich. Prächtige Exemplare aus Silber, Gold, Emaille, Edelstein sind heute noch, denn die gibt es auch, in Knopfmuseen zu besichtigen, zum Beispiel in Lüdenscheid und im süddeutschen Bärnau. Davon träumt die thüringische Knopfstadt Schmölln noch (aber darüber haben wir schon in der taz am 28. Dezember letzten Jahres berichtet).

Die Knöpfe der Armen, der Arbeiter und Handwerker, sind selten erhalten. Sie wurden zu oft abgetrennt, wieder- und abgenutzt. Dabei mögen manche Generationen überlebt haben. Sonntags- und Arbeitskleid waren haltbar und und reichten im besten Fall ein Menschenleben. Was dem Adel recht, war den Revolutionären 1789 in Frankreich billig. Sie trugen auf ihren Knöpfen statt Gold, Diamanten, Wappen und Miniaturen den Sturm auf die Bastille und die Jakobinermütze. In der Folge paßte das Bürgertum die Knöpfe an den Livreen seiner Lakaien denen des Militärs an. Der Knopf, lange vor der industriellen Produktion ein Serienartikel, zog sich erst Ende des 19. Jahrhunderts dezent aus der Herrenmode zurück. Er wurde universelle Massenware.

Daß ein Kleid noch vor nicht allzu langer Zeit mehr war als ein schnell verbrauchter Aspirant für die Altkleidersammlung, lernte Birgit Rother bei den alten Damen, die sich fadengenau an jedes Stück ihrer Garderobe erinnern können. Bevor das eine oder andere ausgemustert wurde, wurden die Knöpfe abgetrennt und sorgsam verwahrt. In ihnen steckt die Erinnerung an das Hellblaue zum ersten Ball, die Sommerbluse im Seebad, den in Kriegszeiten gewendeten und umgearbeiteten Wintermantel. Wie seltsam und fern das anmutet in Zeiten von Reiß- und Klettverschluß. Daß Knöpfe bei den derzeit „richtigen“ Markenjeans der Jugendlichen wieder ein Muß sind, ändert nichts. Sie werden sie nicht abtrennen und schon gar nicht im Nähkasten aufheben.

Birgit Rother kann Sammler eigentlich nicht leiden: „Die wollen immer alles komplett.“ Und: „Die kommen mir immer so merkwürdig gierig vor.“ Das verbietet sich bei Knöpfen von selbst, denn deren gibt es einfach viel zu viele. Daß sie als Knopfbegeisterte „nicht die einzige auf der Welt ist“, erfuhr sie in den letzten Jahren nach Zeitungs- und Funkberichten und einer kleinen Ausstellung ihrer Sammlung in der Zentralbibliothek von Moers. Im Gegenteil, in der Welt sind sie, zumindest in der Schweiz, den USA und England, richtig organisiert, haben Zeitschriften, Sammlerliteratur und -kataloge. Wie sie selber eigentlich zur Sammlerin wurde, weiß sie nicht mehr so genau. Als Kind in einem Arbeiterhaushalt mit vielen Geschwistern hat sie mit der Knopfschachtel gespielt. Und Knöpfe ersetzten die Steine auf dem Mühlebrett. Erst ist sie der Faszination der Vielfalt erlegen, dann entdeckte sie die Systematik, konnte Stilrichtungen und Epochen erkennen.

Mittlerweile treffen sich in der Region neun Knopfbegeisterte: „Wir sehen das alle locker und nicht fanatisch.“ Gesprächsstoff gebe es bei der verspielten Liebenswürdigkeit der Hobbyisten auch so genug. Dabei gibt der Knopf wirklich eine Menge her, zum Beispiel in der Literatur. Ibsen machte sich tiefgründelnde, Rilke eher lockere Gedanken über ihn. Rosenknospe und Schwertknauf sind mittelhochdeutsche Sprachgeschwister des Knopfes, der auch Kopf sein kann. Ein Trunkenbold mußte sich Knobbedotz schimpfen, ein Geizhals knöpfisch nennen lassen. Hans Sachs wünschte einem knauserigen „Schneider ein gehörnte Geisz, die knopflein an die ermel scheisz“. Im Volksmund wird vor- und zugeknöpft.

Mancher Handwerker trug sein Hab und Gut in Form blanker Talerknöpfe an der Tracht und mußte in Notzeiten tatsächlich den als Zahlungsmittel gültigen „letzten Knopf weggeben“. Die protzigen Buckelknöpfe am Sonntagsstaat reicher Bauern hießen drastisch „Sautitten“. Und was wäre aus dem Kriminalroman in Zeiten vor der Genomanalyse ohne das Indiz Nr. 1 geworden?

Und dann bleibt da noch ein philosophischer Restgedanke über Phantasie und Kreativität, die seine EntwerferInnen dem kleinen Gegenstand widmeten. Auch Kitsch und unübersehbares Mißlingen des Gestaltungswillens tun der neugierigen Frage keinen Abbruch: „Wer hat sich das bloß ausgedacht?“ Birgit Rother liebt auch „bizarre Ideen“ und kann immer wieder staunen: „Welche Gedankenarbeit da drinsteckt.“

Daß Knopfentwurf zum Design-Studium gehört, wirft eine andere Frage auf. Design am Knopf macht ihn zum Schmuck, der auch gut an Halskette und Ringfinger zur Geltung käme: das zierliche, silberne Schneckenhäuschen ebenso wie die schwere, dunkle Spirale mit dem geschliffenen Granat. Aber da wird Birgit Rother energisch: „Nein, nicht! Ein Knopf bleibt ein Knopf!“