■ Mit Abwassergebühren auf du und du
: Die Städte zittern

Berlin (taz) – Der Blutdruck so mancher Stadtkämmerer dürfte heute in ungeahnte Höhen steigen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster wird in einem Musterprozeß entscheiden, welche Kosten die Kommunen bei der Festsetzung der Abwassergebühren zugrunde legen müssen. Was nach dröger betriebswirtschaftlicher Theorie klingt, kann die Städte um Millionen bringen.

Auf eine Milliarde Mark taxiert der Siegener Professor Karl-Heinz Osterholthoff die zuviel gezahlten Gebühren allein in Nordrhein-Westfalen. In einem Gutachten für den Bund der Steuerzahler beweist der Siegener Wirtschaftswissenschaftler, daß die Kalkulationspraxis der Städte und Gemeinden gegen rechtliche Grundsätze verstößt.

Knackpunkt dabei ist das Kommunalabgabengesetz. Es läßt offen, wie bei der Gebührenfestsetzung die Abschreibungen zu berechnen sind. Die Gemeinden können von den Anschaffungskosten ihrer Anlagen ausgehen – oder aber, weitaus teurer für die Hausbesitzer, die Kosten ansetzen, die bei einem Neubau anfielen.

Der Unterschied ist enorm. In Dortmund kassiert die Stadt 52 Millionen Mark mehr, als sie bei Zugrundelegung des Anschaffungspreises bekäme. 40 Prozent zuviel, behauptet Karl- Heinz Ostholthoff. Denn das Kommunalabgabengesetz schreibt vor, daß die Gebühren nur die tatsächlichen Kosten decken dürfen. Diese Forderung ließe sich leicht erfüllen, glaubt der Steuerzahlerbund: Die Abwasserreinigung müßte in einen Eigenbetrieb überführt werden. Vor elf Jahren hat die NRW-Kommune Erftstadt diesen Schritt vollzogen. Seitdem gab es dort keine Gebührenerhöhung mehr. Auch Rheinland- Pfalz pflegt diese Praxis, in Bayern und Baden-Württemberg ist die Abschreibung nach Anschaffungswert vorgeschrieben, in Hessen üblich. In allen anderen Ländern haben viele Kommunen in den vergangenen Jahren auf den höheren Wiederbeschaffungswert umgestellt.

Hoffen läßt die Kommunen ein Urteil des OVGs Münster aus dem Jahre 1992. Derselbe Senat, der auch diesmal entscheidet, hat damals in einem vergleichbaren Fall für die Städte entschieden. Das Ostholthoff-Gutachten lag 1992 noch nicht vor. Und so zeigt sich der Bund der Steuerzahler optimistisch. Sollte den Klägern recht gegeben werden, dürfte die Gebührenschraube nicht nur für das Abwasser, sondern auch für Müllabfuhr oder Trinkwasser gebremst sein. Lorenz Redicker