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Stau'mer mal!

■ Automobil - das ist längst Unsinn. Autos massenhaft, von mobil nicht die Rede. Die ewige Werbevision der Hersteller vom Urlaub, allein mit Liebe und Auto, weicht der sommerlichen Wochenendwirklichkeit. Ab heute ist es ...

Automobil – das ist längst Unsinn. Autos massenhaft, von mobil nicht die Rede. Die ewige Werbevision der Hersteller vom Urlaub, allein mit Liebe und Auto, weicht der sommerlichen Wochenendwirklichkeit. Ab heute ist es wieder soweit:

Stau' mer mal!

Keiner will sie, keiner liest sie. Aber wenn der Stau da ist, wird gebrüllt“, klagt Veit Steinle, Sprecher im Bundesverkehrsministerium. Jedes Frühjahr veröffentlicht die Bonner Regierung eine Broschüre, in der die kritischen Reisetage vermerkt sind. Die Landkarte für dieses Wochenende sieht wieder aus wie ein Malefiz-Spielfeld: Im Norden viele Punkte, im Süden alles dicht.

Nächste Woche müssen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland- Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt die Schüler wieder in die Klassenräume, und auch die Bänder bei Ford und Opel laufen dann wieder. Hinzu kommt noch ein Haufen ferienhungriger Bayern. Sowohl dem Verkehrsministerium als auch dem ADAC fällt nichts anderes ein, als den Leuten zu einer früheren Heimkehr zu raten. „Am besten sieht es noch mittwochs aus.“ Aber jeder Tip zur Stauvermeidung ruft meist nur eine Stauverschiebung hervor. „Viele Leute in Nordrhein-Westfalen dachten, sie seien schlau, wenn sie nicht gleich zu Anfang der Schulferien fahren und starteten erst in der zweiten Woche“, berichtet Wolfgang Wuthe vom ADAC. Und alle Schlauen trafen sich – in insgesamt 250 Kilometer langen Schlangen. Der Automobilclub hat es schon vor mehr als 10 Jahren aufgegeben, Umleitungsempfehlungen zu geben.

Um Platz für die 36 Millionen Urlauber zu schaffen, die zwischen Juli und September die Straßen verstopfen, fordert der Autoclub wie eh und je neue und breitere Autobahnen. „Zwischen Dachau und Oberschleißheim fehlt ein Stück Autobahn, und wo die A3 und A7 zusammenkommen, gibt es nur zwei Spuren. Da muß es sich ja stauen“, sagt Wuthe und zählt aus dem Effeff noch mehr Nadelöhre auf. Auch Steinle würde den Autofahrern gerne noch ein paar neue Autobahnkilometer verschaffen. Aber leider, leider ist das Geld nicht da. Deshalb verteilt er praktische Tips: Verkehrsfunk hören, Umleitungsschilder beachten, eine Reisekarte mit gutem Maßstab einstecken. Und ab und zu mal Pause an einem nahegelegenen Kulturdenkmal.

Gnadenlos spottet hingegen Brigitte Kunze vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) über die Autourlauber: „Die Leute stehen nicht im Stau, sie sind der Stau. Das ganze ist eine freiwillige Veranstaltung.“

Nicht nur Auffahrunfälle, die sich an diesen Sommerwochenenden extrem häufen, sind physikalische Ursache der Autosteherei. Ein Stau entsteht, wenn Autos verschiedener Geschwindigkeiten hintereinanderfahren: Der Raser bremst, weil ein langsameres Vehikel vor ihm fährt, der Nachfolger stoppt ebenfalls ab – und von Auto zu Auto wächst die Verzögerung. Abstand und Reaktionszeit machen den Abbremseffekt nach hinten hin immer größer, bis zum Stillstand. Und bis die Autos dann wieder in Gang kommen, hat sich schon eine lange Schlange gebildet. Sie wächst und wächst, weil die Vorderleute nicht alle zugleich, sondern einer nach dem anderen losfahren.

Welchen Umwelteffekt eine Abschaffung der Staus hätte, wird von verschiedenen Institutionen sehr unterschiedlich bewertet. Das Prognos-Institut in Basel geht davon aus, daß nur ein Prozent der CO2-Emissionen durch Straßenverstopfungen hervorgerufen wird. Detlef Frank, Abteilungsleiter Umwelt bei BMW, hingegen glaubt, daß die Abgase um etwa 40 Prozent reduziert werden könnten, „wenn es nur grüne Ampeln und keine Staus geben würde“. Nicht durch weniger Autos oder kleinere Motoren will der BMW- Mann die Umwelt entlasten, sondern durch Verkehrsleitsysteme. „Das ist eine völlige Illusion. Wenn der Verkehrsablauf verbessert wird, wird neuer Verkehr angesogen, so daß noch mehr Autos fahren und noch mehr Emissionen entstehen“, kommentiert Willi Loose, Verkehrsexperte beim Freiburger Öko-Institut. Annette Jensen

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