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Klettern ist in, klettern ist cool

■ Wo keine Berge sind, da müssen welche hingestellt werden: Berliner Kids probieren sich an aufgestellten Klettertürmen / Ein neuer Trend ist geboren, die Nachfrage ist groß

Vorsichtig tasten die Hände haltsuchend an der braunroten Kunststoffwand entlang. Sobald sie sich irgendwo festgeklammert haben, müssen die Füße die nächste Stütze finden. Dann wieder die Hände. Patrick ist elf und hat eigentlich Höhenangst, aber er klettert trotzdem. „Ich gucke einfach nicht nach unten.“ Auf Patricks Gesicht macht sich angestrengte Konzentration breit. Ganz alleine in der Höhe. Über ihm der Himmel und unter ihm der giftgrüne Plastikrasen. Jeder Fehlgriff oder Fehltritt kann den Absturz bedeuten. Der Fuß ist wieder an der Reihe. Unsicher tastet Patrick nach der nächsten haltbringenden Stütze, aber ... daneben – abgerutscht! Patrick baumelt im Sicherheitsgurt in 5 Metern Höhe. Er lächelt verlegen, denn schließlich stehen unten ja auch Mädchen. „Du mußt dich richtig in die Wand stellen“, hört er die anderen hochrufen. Und er klettert weiter, bis ganz nach oben. Sechs Meter und eine Aussicht auf die Prenzelberger Hinterhöfe. „Klettern ist Nervenkitzel, denn so ein bißchen Angst habe ich immer“, sagt er, als er wieder den sicheren Boden unter den Füßen hat.

Berlin ist im Kletterfieber. Jahrelang haftete denen, die auf Berge klettern, das dumpfe Image verschrobener Bergseppeln und der Geruch von Bergziegen an. Jetzt wird die Großstadt als Kletterparadies entdeckt, Lederhose und Gamsbarthut werden gegen Baseball-Cap und bunte neonfarbene Latexkletterhosen eingetauscht.

Auch die Landessportjugend hat den Trend erkannt und in diesem Jahr die ersten drei Klettertürme für Berliner Kids aufgestellt: in Köpenick, in Reinickendorf und in Prenzelberg in der Kollwitzstraße. Das Geld dazu kam aus dem Senatssonderprogramm „Jugend mit Zukunft“, denn immerhin koste eine Bergimitation rund 80.000 Mark, so Bernd Wille von der Landessportjugend.

„Klettern kann jeder“, sagt Projektleiter Dieter Paulick vom Sportjugendclub im Prenzlauer Berg. Und die Nachfrage ist immens. Seit Ende April „angeklettert“ wurde, vergeht keine halbe Stunde, wo nicht irgendein Klettermax am Turm kraxelt. Klettern ist in. Klettern ist cool.

Aber nicht nur die Kleinen haben den Baum als Klettergerüst gegen die steile Kunststoffwand eingetauscht. Olaf ist 24 und vor einem halben Jahr durch einen Freund auf den Geschmack gekommen. „Danach hat sich das in meinem Freundeskreis wie ein Lauffeuer ausgebreitet.“ Und seit er im Kletterfieber ist, übt er zwei- bis dreimal die Woche in der Kollwitzstraße. „Das Tolle am Klettern ist, daß du deine Grenzen erkennst.“

Die richtigen Klettersportfreaks findet man in Berlin zum Beispiel am noch aus dem Zweiten Weltkrieg übriggebliebenen Bunker im Humboldthain in Wedding. Eine fünfzehn Meter hohe Betonwand, oben die Aussichtsplattform des Bunkers, unten die Sportkletterer vom Alpenverein. Über Jahre hatte der Berliner Alpenverein, der in diesem Jahr sein 125jähriges Jubiläum feiert, sozusagen das Klettermonopol in der Stadt. Und auch wenn mittlerweile in Berlin immer „neue Berge“ entstehen, sind unter den Vereinlern die meisten Könner. An die Bunkerwand darf nur, wer es schon kann.

Uta Hittmann hat ihr Herz fürs Klettern schon vor dem großen Boom entdeckt: vor sieben Jahren in den Bergen. Sie kommt zwei- bis dreimal die Woche aus Hellersdorf zum Humboldthainer Bunker, um dort zu trainieren. Breitbeinig wie eine Spinne hängt sie in der steilen Wand. Unten steht ihr Mann Ovidiu, mit ihr durch ein Seil verbunden, um sie im Falle eines Falles vor dem Absturz zu bewahren. Ab und zu entfährt Uta ein Fluch, wenn ihre Füße nicht den rechten Halt an der Wand finden. „Starke Nerven sind wichtig, wenn du kletterst“, sagt sie.

Um im Training zu bleiben, haben viele der Sportkletterer sogar zu Hause im Wohnzimmer oder in der Garage eine Kletterwand aufgebaut. „Kraft, Technik und Gleichgewichtssinn sind sehr wichtig“, erzählt Uta, „und es werden alle Muskeln beansprucht.“

Sie als „alter Kletterfreak“ betrachtet den augenblicklichen Trend zum Modesport eher skeptisch. „Ich glaube, alle verrückten Sportarten, bei denen man sich beweisen muß, boomen unter den Kids.“

Für sie ist das Klettern an der Bunkerwand oder an einer der anderen Kletterwände in Berlin „ein gutes Training“, am schönsten ist es aber doch in der Natur. „Es gibt nichts Besseres, als nach einem langen Klettertag oben auf dem Gipfel zu sitzen und die Aussicht zu genießen.“ Patricia Pantel

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