Unter silberner Tinte verborgen

Die staatliche Zensur in Birma wacht nicht nur über die ordnungsgemäße Verwendung des neuen Landesnamens Myanmar und verbietet die Nennung unliebsamer Namen, sondern schreibt auch das Vokabular der Alltagssprache vor  ■ Von Anna J. Allott

Die ausländischen Touristen, deren Zahl in Birma allmählich steigt, haben wahrscheinlich keine Ahnung von der allumfassenden und restriktiven Zensur, die das intellektuelle Leben des Landes erstickt. Wenn sie aber einmal ein Heft der zahlreichen Monatszeitschriften des Landes in die Hand nähmen und die grauen Seiten des recycelten Papiers durchblättern würden, in denen es – außer auf dem Deckblatt – keine Farbe gibt, würden ihnen die großen geschwärzten Flächen und die mit Silbertinte überdeckten Schriftzeichen schon die Hälfte der Geschichte erzählen. Sie nämlich sind das Werk der Zensoren, deren offizieller Name „Presse-Kontroll- Ausschuß“ (PSB) lautet. Daß ganze Seiten herausgerissen werden, ist nicht so leicht zu sehen. Dafür scheint durch die silberne Tinte oft hindurch, was der herrschende „Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung“ (SLORG) fürchtet, und zeigt mit Geisterhand auf, wie das kollektive Denken von Birmas Herrschern funktioniert.

Im Februar dieses Jahres brachte die Zeitschrift Kalyar auf ihren internationalen Seiten einen Kurzbericht über schwarze Geschäftsleute in Südafrika. Eines der zwei begleitenden Fotos war geschwärzt, ebenso wie der Name auf diesem Foto im Text selbst. In seiner Rede, mit der Nelson Mandela – der unsichtbare Mann – im Dezember 1993 den Nobelpreis angenommen hatte, hatte er auch seine Nobelpreis-Kollegin Aung San Suu Kyi erwähnt und mit deutlichen Worten ihre Freilassung gefordert. Der ausführende Zensor hatte jedoch den Namen „Mandela“, der ganz klein unter dem Foto in Englisch stand, nicht erwischt oder vielleicht sogar vergessen wollen. Die Identität der „verbotenen“ Person war daher für alle deutlich, und die ganze Angelegenheit damit ein Beispiel für die kleinkarierte Gehässigkeit und letztendliche Nutzlosigkeit der Zensur in Birma.

Voriges Jahr schien SLORG geglaubt zu haben, man könne die UN-Kommission für Menschenrechte davon überzeugen, daß das, was der Presse-Kontroll-Ausschuß da trieb, gar keine Zensur sei. Im Februar 1993 hatte der UN-Sonderberichterstatter für Myanmar (so der offizielle Name des Landes), Professor Yozo Yokata, in seinem Bericht festgestellt, daß er „davon informiert sei, daß in Myanmar Presse, Rundfunk und Fernsehen weiterhin der Zensur durch die Regierung ausgesetzt seien und daß alles schriftliche Material darüber hinaus regierungsamtlichen Restriktionen und Kontrollen unterworfen ist.“ Der ständige Repräsentant Myanmars in Genf ließ sofort eine Stellungnahme mit einem kategorischen Dementi verbreiten, in der es hieß: „Es ist nicht wahr, daß die Regierung Presse, Rundfunk und Fernsehen und anderes Schriftmaterial zensiert. Allerdings wird von den Medien erwartet, daß sie keinerlei Feststellungen machen, die geeignet wären, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören. Es gibt ein Verlags- und Druckgesetz in Myanmar – und die Existenz eines solchen Gesetzes ist gewiß nicht auf Myanmar beschränkt.“

Das von seiner Exzellenz erwähnte Verlags- und Druckgesetz wurde 1962 von der damaligen Militärregierung in Kraft gesetzt. Regel 18 desselben verlangt zum Beispiel, daß auf jedem Druckerzeugnis – ob Buch, Zeitung, Broschüre oder sonstigem Periodikum – Name, Registrationsnummer und Adresse von Verlag und Druckerei stehen muß. Regel 19 besagt, daß auch der Name des Chefredakteurs in allen Zeitungen und Periodika an prominenter Stelle gedruckt werden muß. 1977 wurde das Gesetz durch einen Erlaß (Nummer 22) des Druckerei- und Verlagsregistrationsausschusses der BSPP erweitert; da hieß es, daß „alle Manuskripte, einschließlich Romanen aber ausschließlich regelmäßig erscheinender Periodika, zu vorheriger Kontrolle vom 9. Mai 1977 vor Drucklegung vorgelegt werden müssen.“

Alle Bücher wurden vor dem Druck gründlich kontrolliert; Periodika, einschließlich der vielen und populären Literatur- und Publikumszeitschriften, wurden nach dem Druck, aber vor dem Vertrieb „untersucht“. Wollte ein Zeitschriftenherausgeber also den Verlust herausgerissener Seiten und die Kosten für das Schwärzen von Textstellen sowie verspätetes Erscheinen vermeiden – was alles zu seinen eigenen Lasten ginge –, so bedeutete das eine gnadenlose Selbstzensur.

Nach der Machtergreifung des SLORG 1988 und vor den Wahlen von 1990 war – mithilfe der Verbreitung von Fotokopierern – sehr viel unkontrolliertes Material politischen Charakters aufgetaucht. Deshalb hatten die Militärherrscher am 6. Juni 1989 einen weiteren Erlaß (Nummer 38) veröffentlicht, in dem deutlich gemacht wurde, daß solches Schrifttum nicht geduldet würde. „Es sieht so aus, als ob zur Zeit einige Drucker und Verleger, Organisationen und Einzelpersonen, die mit Druck und Veröffentlichung befaßt sind, sich nicht an die Regeln 18 und 19 des Gesetzes bzw. den Erlaß Nummer 22 halten. Daher werden vom 6.6.89, dem Datum dieses Erlasses an, effektive Maßnahmen ergriffen werden, nach Sektion 20 des existierenden Druck- und Verlagsgesetzes von 1962, gegen Drucker, Verleger, Organisationen und Einzelpersonen, die sich mit ihren Druck- und Verlagserzeugnissen nicht an Regel 18 und 19 sowie Erlaß Nummer 22 (...) vom 7. Mai 1977 halten.“

Einige mutige Zeitschriftenredakteure machten sich einen Namen mit ihrer Politik, Texte zu drucken, denen nachträgliche Zensur drohte; wenn sie jedoch zu waghalsig wurden, konnte es passieren, daß die Zeitschrift zumachen mußte. Im Dezember 1991 wurde der neu berufene Chef von Pei- hpu-hlwa, der Lyriker Tin Moe darüber hinaus verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Zensur reagiert besonders empfindlich auf die Erwähnung der Worte „Demokratie“ und „Menschenrechte“; ihr Gebrauch ist verboten – in jedwedem Zusammenhang. Auch Angriffe oder Kritik an der birmesischen Armee oder SLORG sind nicht erlaubt; nichts ist erlaubt – selbst Namen fiktionaler Charaktere oder Illustrationen zu Geschichten nicht – was in irgendeiner Form an Aung San Suu Kyi und die Ereignisse von 1988 erinnern könnten; selbst Erwähnungen anderer Friedensnobelpreisträger werden in der Regel geschwärzt. Die Werke von Autoren, die aus politischen Gründen inhaftiert sind, dürfen nicht wiederaufgelegt werden, und ihre Namen dürfen nirgends im Druck erscheinen. Da dies auch rückwirkend gilt, muß der Name, wenn er in einer älteren Auflage erscheint, geschwärzt werden. Diese Zensur gilt auch für Arbeiten, die sich mit der jüngeren Geschichte Myanmars befassen; in ihnen darf im Zusammenhang mit den vielen kommunistischen Gruppierungen, die sich im bewaffneten Aufstand gegen die Regierung befanden, nicht mehr von „Rebellen“ (thu-bon) die Rede sein. Man muß sie jetzt „Aufständische“ (thaun-gyan-thu) nennen, das Wort „Rebell“ ist für diejenigen reserviert, die gegen koloniale Herren kämpfen. Wer hingegen seit 1962 gegen die birmesische Militärregierung gekämpft hat, ist ein „Aufständischer“.

Zensur beginnt bereits bei Rechtschreibung und generellem Gebrauch bestimmter Worte. Dabei geht es nicht nur um Slang. Beispielsweise darf das Wort „Doe“, „wir, unser“, wie etwa in „Doe- bama“, „wir, die Burmesen“, nur in offiziellen Publikationen benutzt werden, da es an das Nationalgefühl appelliert. Im nicht-offiziellen Zusammenhang darf man nur das Wort „toe“ benutzen, das keine nationalistischen Konnotationen hat. Gleichermaßen dürfen nur die neuen, offiziellen Ortsnamen benutzt werden, die das Regime per Dekret 1989 einführte: da wurde aus Pagan Bagan, aus Pegu Bago. Das Land selbst, bis dahin Birma (in der alt-kolonialen englischen Schreibweise: Burma; Anm. d. Ü.), darf jetzt nur noch Myanmar heißen, und die Stadt Maymyo muß bei ihrem ursprünglichen, birmanischen Namen Pyin-oo-lwin genannt werden.

Oft hat die Leserschaft nicht die geringste Ahnung, welches politisch gefährliche Wort sich unter der silbernen Tinte verbergen könnte; am Ende stellt sich heraus, daß es nur um das Slangwort „yei“ für „Geld“ ging (wie „Kohle“ oder „Mäuse“ im Deutschen).

In einem Land, dessen Rundfunk- und Fernsehsender und die gesamte Tagespresse in staatlichem Besitz sind, kann man das intellektuelle und literarische Leben am besten an der Menge und Qualität von Monatszeitschriften beurteilen, besonders an den Magazinen, randvoll mit populärer Literatur, mit Kurzgeschichten, Gedichten, Cartoons und Reportagen aus dem In- und Ausland. Die Kurzgeschichten sind beim Publikum am beliebtesten. Jede der insgesamt etwa 20 Zeitschriften druckt pro Ausgabe vier bis sechs davon, pro

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Monat erscheinen bis zu einhundert Kurzgeschichten. Aber natürlich sind die Redaktionen auch hier vorsichtig; zensiert zu werden kommt schlichtweg zu teuer.

Die Zensurbehörde arbeitet eng mit dem birmesischen militärischen Abwehrdienst zusammen. Wenn man sich über die Position eines Autors oder einer Autorin nicht ganz im Klaren ist – steht er oder sie auf einer der schwarzen Listen oder nicht? – gibt man das Manuskript an die Spionageabwehr weiter. Jüngstes Beispiel war eine im Mai 1994 zensierte Reportage, als die Geschichte „Lu-zei“ (Menschenmarkt) aus einer der Zeitschriften vollständig entfernt wurde; sie soll von einer jungen Birmesin berichtet haben, die zur Prostitution ins Nachbarland Thailand verkauft werden – eine Entwicklung, die die Regierung natürlich ohnehin bestreitet.

Die Folgen für einen Autor oder eine Autorin, deren Text ohne Erklärung aus dem Heft genommen wird, sind gewissermaßen gezeichnet: Redaktionen werden einen neuen Text nicht so leicht annehmen. Willkür der Verbote, Mangel an eindeutigen Vorschriften und fehlende Begründungen für die Zensur üben zunehmend Druck auf alle Schreibenden aus, sich selbst zu zensieren, und sie treiben Redaktionen dazu, in vorauseilendem Gehorsam die AutorInnen selbst schon um Änderungen zu bitten. Auszuprobieren, ob ein Schriftsteller noch auf einer schwarzen Liste steht und einfach einen Text zur Vorzensur einzureichen, dazu braucht es schon eine höchst risikobereite Redaktion (und nur wenn ein derart zur Vorzensur vorgelegter Text zur Publikation freigegeben wird, weiß die Autorin, ob sie wieder publizieren kann oder nicht). Allgemein herrschende Angst und Unsicherheit verhindern in den meisten Fällen, daß man Entscheidungen provoziert oder überhaupt irgendetwas unternimmt.

1990 sah es kurze Zeit so aus, als ob die Demokratie-Bewegung doch erfolgreich wäre, und die Wirtschaft erholte sich. Neue Zeitschriften wurden gegründet und alte, die kurzfristig verboten waren, konnten wieder escheinen. Als die regierende Partei sich jedoch weigerte, die Macht an die in der Wahl siegreichen Demokraten abzugeben, drehte sich der Wind wieder; ausländische Investitionen kamen nicht zustande, und die birmesische Wirtschaft hat seither kaum mehr Anzeichen von Wachstum gezeigt, – selbst wenn einzelne Unternehmer tatsächlich sehr reich geworden sind. Angesichts der herrschenden Inflation ist es für die Mehrzahl der Bevölkerung schwer, finanziell über die Runden zu kommen. Das gilt vor allem für Staatsangestellte mit ihren festgeschriebenen Gehältern – weshalb sie sich oft gezwungen sehen, Bestechungsgelder anzunehmen. Die galoppierende Kleinkorruption ist häufigste Zielscheibe für die Karikaturisten des Landes.

Die Preise für Bücher und Zeitschriften sind permanent und im Vergleich zu Löhnen und Gehältern unproportional gestiegen; immer weniger Leute können sie sich leisten und holen sie sich deshalb aus Verleih-Geschäften, die jedoch, aus den gleichen Gründen, nur die allerpopulärsten Titel ankaufen. Mit anspruchsvolleren Büchern und Zeitschriften ist kein Gewinn zu machen. Diese Situation wird noch erschwert durch den Verlust jeglicher ideologischer Richtung durch den Zusammenbruch des Kommunismus bei gleichzeitiger Niederlage der Demokratie in Birma. Da weder die Gefühle noch die Erfahrungen der Menschen frei beschrieben werden können, hat die Vitalität birmesischer Literatur gelitten und ist auf das Niveau trivialer Geschichten abgesunken. Viele der älteren SchriftstellerInnen waren einmal überzeugte und aktive KommunistInnen, die in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nicht selten im Gefängnis waren; heute glauben sie nur noch an Demokratie und Menschenrechte. So hört man kaum noch die zum Überdruß bekannten Formeln der „Literatur des Volkes“, daß „Texte dem Volke nützen sollen“ oder man „auf der Seite der Massen“ stehen muß. Aber noch wagen Schriftsteller auch nicht, sich offen für Demokratie und Menschenrechte auszusprechen. Die jüngere Generation hat ohnehin keinerlei Erfahrung mit freier Rede und demokratischen Spielregeln. Der einst felsenfeste Grund des „sozialistischen Realismus“ ist zu Treibsand geworden, und doch ist jede Offenheit hierüber verpönt.

Unter dem derzeitig herrschenden Regime sind drei Arten von Publikationen besonders populär geworden: neue Zeitschriften, die sich mit Business und freier Marktwirtschaft beschäftigen, religiöse Werke und die sogenannte „leichte“ Kost von Liebes- und Science-Fiction-Romanen.

Kurz nach der Machtübernahme im September 1988 hat SLORG den Sozialismus offiziell abgeschafft und eine neue Politik der „offenen Türen“ und freien Marktwirtschaft angekündigt. Daraufhin begannen drei neue Zeitschriften, sich mit birmesischer und Welt-Wirtschaft, Produktion, Industrie, Werbung, Management und Export zu beschäftigen. Die meisten Texte, die sich mit dem Ausland beschäftigen, sind aus englischen Publikationen übersetzt, aber birmesische Journalisten haben sich auch zunehmend auf das Feld des investigativen Journalismus gewagt – was früher in Birma natürlich absolut nicht möglich war. Ein großer Teil der Leserschaft, der ewigen politischen Streitigkeiten müde, hat sich jedoch inzwischen der Religion zugewandt. Man hat eine Auswahl an etwa zwanzig monatlichen Publikationen, die sich alle mit Buddhismus beschäftigen. Manche haben eine offizielle Auflage von 10.000; inoffiziell spricht man aber von 70.000 im Durchschnitt.

Anna J. Allott lehrt und forscht über Birma an der School of Oriental and African Studies, London University.