Betr.: Editorial

■ Index on Censorship

Hinter einzelnen DissidentInnen, deren Namen wir irgendwann buchstabieren lernen, verbergen sich viele, manchmal Millionen andere, denen sie eine Stimme geben. Im jüngsten Fall von Verfolgung einer Schriftstellerin, Taslima Nasrin, haben wir bisher allerdings noch wenig von den Hunderttausenden von Frauen in Indien und Bangladesh gehört, die seit fast einem Jahr für ihre Heldin auf die Straße gehen, deren protestierende Stimmen gegen eine immer bärtiger werdende Religion sie mit ihrem Schreiben verkörpert.

Im Fall der birmesischen Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, deren Hausarrest sich in diesem Monat das fünfte Mal jährte, ist das anders. Schließlich hat Aung San Suu Kyi als Führerin ihrer Partei einmal nationale Wahlen gewonnen – gewählt von Hunderttausenden, denen sie durch ihr öffentliches Engagement Stimme verleiht. Die Texte auf diesen Seiten über Denk-, Schreib- und Sendeverbote in Birma machen jedoch deutlich, wie wenig es nützt, großen Freiheitsbewegungen die Stimme zu nehmen.

Denn das immer wieder ausgesprochene Verbot bestätigt am Ende nur noch das Nachwachsen der protestierenden Stimmen – bis das System nachgibt, wie in Prag, wo Vaclav Havel heute als Staatsmann jene Werte anmahnt, für die er als Schriftsteller einst im Gefängnis saß.

Und noch eine Frau, die sich den Mund nicht verbieten läßt: Shere Hite, deren Hite-Reports unser Verständnis von weiblicher und männlicher Sexualität durch Hunderte von Interviews erweitert haben, beschreibt in ihrem Text die heimlichen und unheimlichen Mechanismen, auf die eine Autorin wie sie – und viele andere – in der omnipräsenten und sich omnipotent gerierenden Welt der medialen Vermarktung trifft. Ihr hartnäckiges Festhalten am Thema – das eher „das Patriarchat“ als „der Sex“ ist – hat sie zu einem der prominenteren Opfer des „Backlash“ gegen den Feminismus gemacht. Uta Ruge, London