Wer von uns hat am meisten verloren?

■ Moskau: Die geprellten MMM-Aktionäre arbeiten an einer Liste der Ärmsten

Moskau (taz) – Die theatralischen Ereignisse rund um den Niedergang der russischen Finanzgesellschaft MMM erreichten ihren vorläufig letzten Höhepunkt am Donnerstag nachmittag, als eine Einheit der Anti-Terror-Einsatzgruppe „Omon“ die Wohnung des Firmenchefs, Sergej Mawrodi, in der Moskauer Innenstadt stürmte und diesen festnahm. Bei der pittorsken Aktion seilten sich Kämpfer in Tarnanzügen und Ski-Masken mit Kalaschnikows vom Dach aus auf Mawrodis Balkon ab. Der gedrungene, brünette Firmenchef wurde in Hawaihemd und Plastiklatschen in einen roten Schiguli verfrachtet, wobei er den versammelten Reportern und MMM- Fans aufmunternd zuwinkte.

Das Hauptziel der von der Steuerfahndung initiierten Aktion bestand eigentlich darin, Papiere zu suchen, aus denen die niemandem bekannte genaue Zahl der MMM- AktionärInnen und die Einkünfte der Gesellschaft hervorgehen könnten. Ein Sprecher der Steuerfahndung berichtete, man habe in den vergangenen Tagen 24,5 Millionen undeklarierte Rubel (etwa 20 Mio. DM) bei der Firma „Invest-Consulting“ gefunden, einer MMM-Tochter. Beiläufig war zu erfahren, daß die Höchststrafe für Steuerhinterziehung in Rußland 5 Jahre Gefängnis beträgt.

Am Vortage hatten die „Nationalpatriotische Partei Auferstehung“ und die „Partei der Bierliebhaber“ auf dem Puschkinplatz unter Schluchzen und mit Biertrinken geprobt – für die Beerdigung Ljonja Golubkows. So heißt eine der Hauptgestalten der MMM- Fernsehreklame, die zu wahren Nationalsymbolen wurden.

Ursprünglich war die Verbrennung Ljonja Golubkows in Gestalt einer Vogelscheuche vorgesehen, doch die Veranstalter sahen „aus humanitären Gründen“ davon ab und begnügten sich mit einem kleinen Pappsarg. Die zufälligen SitzgenossInnen vor dem Büro der Firma auf der Warschauer Chaussee – in dieser Woche waren es täglich 8.000 – wurden Donnerstag vormittag für kurze Zeit wegen einer Bombenwarnung verscheucht. Sie beschäftigen sich jetzt damit, Listen der Allerärmsten in den eigenen Reihen aufzustellen. Denen hat nämlich die Firmenleitung versprochen, ihre Aktien zum Vor- Kollaps-Preis von 125.000 Rubel pro Stück abzunehmen. Dies geschah auch in einigen Fällen.

Zum neuen Preis von 1.000 Rubel finden die MMM-Aktien wieder KäuferInnen. Das Pyramiden- Schema, bei der die Verkäufer früher erstandener Aktien ihre Ablösung einzig und allein aus dem Verkauf neu auf den Markt geworfener Wertpapiere erhalten, könnte sich also neu aufbauen.

Allerdings hat das russische Anti-Trust-Komitee 15 Investitionsfonds verwarnt, die nach MMM- Vorbild in ihrer Reklame einen genau definierten Wertzuwachs für feste, bevorstehende Zeiträume versprechen. Diese Praxis wurde vor kurzem durch einen Ukas Präsident Jelzins untersagt. Ministerpräsident Tschernomyrdin ließ aus seinem Urlaubsdomizil verlauten, daß die Regierung nicht bereit sei, den MMM-Opfern Entschädigungen zu zahlen, da dies nur auf Kosten der Nichtkäufer von MMM- Aktien unter den Steuerzahlern geschehen könne. Barbara Kerneck