Pleiten, Pech und Pannen

Die Goodwill-Games, als Stadtwerbung zur Wirtschaftsförderung gedacht, ersticken im Chaos der Organisation  ■ Aus St. Petersburg Konstantin Trifonov

Die einstige Zarenstadt St. Petersburg will sich heute wieder als Rußlands Fenster zum Westen profilieren. Der Sport ist auserkoren, St. Petersburg international ins Gespräch zu bringen. Nach den „Goodwill Games“, die an diesem Wochenende zu Ende gehen, bewirbt sich die Stadt an der Newa nun für die Olympischen Spiele im Jahr 2004, wie der Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees, Alexander Koslowski, gestern ankündigte. Doch das diesjährige Großereignis dürfte da eher als Antiwerbung wirken.

Vor Monaten versetzte die Aussicht, die Stadt rund um den Globus in 117 Ländern bekannt machen zu können, die St. Petersburger Wirtschaftsförderer fast in Panik. Bröselnde Stadien mußten für die weltberühmten Sportler umgebaut werden, die ja nun zum ersten Mal zu einem internationalen Wettbewerb im postkommunistischen Rußland antraten. Straßen sollten neu gepflastert, Müll beiseitegefegt werden, um das Venedig des Nordens mit seinen Hunderten von Kanälen für das Millionen- Fernsehpublikum in aller Welt präsentabel zu machen.

Der US-Medientycoon Ted Turner, der sich die Kosten des Spektakels von geschätzten 120 Millionen US-Dollar mit dem russischen Staat teilt, drängte schon früh auf den Beginn der Reparaturarbeiten. Doch Moskau verschleppte die Zahlung seines Beitrags bis sieben Wochen vor Beginn der Spiele, so daß die Stadtregierung anschließend einen Rekord im Renovieren aufstellen mußte. Zur Eröffnung dann meinte Bürgermeister Anatolij Sobtschak erleichtert: „Das einzige, was wir nicht ausgewechselt haben, ist das Wasser der Newa.“

Prophetische Worte. Denn der Alptraum für die Verantwortlichen begann mit einem Streit über die Qualität des Wassers. Einen Tag vor dem Schwimm-Wettbewerb begannen die Organisatoren, das frisch reparierte Becken des Armeesportclubs zu füllen. Doch als das schwedische Schwimmerteam einen Blick auf das trübbraune Wasser geworfen hatte, an dessen Oberfläche eine dünne Schaumschicht trieb, trat es vom Wettbewerb zurück. In Panik warfen die Orgaisatoren riesige Mengen Chlor ins Becken – doch immer noch beschwerten sich die Schwimmer, daß das Wasser nicht durchsichtig sei.

Neue Bahnen und alte Toiletten

Im Petrowski-Stadion hatten die internationalen Stars, wie der vierfache Olympiasieger Carl Lewis, Leroy Burrell und Jackie Joyner- Kersee andere Probleme. Die neuen Bahnen erreichten durchaus Weltstandard, die Dusch- und Toilettenräume jedoch nicht. „Als ich die Toiletten sah, habe ich doch lieber bis zur Rückkehr ins Hotel gewartet“, sagte Lewis.

St. Petersburgs sowjetische Vergangenheit zeigt sich auch an anderen Sportstätten. Die Ruderstrecke, ein Kanal im Nordwesten der Stadt, wurde von sowjetischen Ingenieuren in den 60er Jahren aus unerfindlichen Gründen 200 Meter kürzer als die regulären 1.200 Meter gebaut.

Die Goodwill Games hatte Ted Turner mit seiner Turner Broadcasting Systems 1986 mitten im Kalten Krieg gestartet. Damals waren die US-Amerikaner hauptsächlich mit der Klärung politischer Fragen beschäftigt, während sie heute mit den harten Realitäten des russischen Frühkapitalismus konfrontiert sind.

So wollten sie, ganz guter Wille, daß die Spiele auch ihren Sinn darin finden, den Stadtbewohnern eine Abwechslung zum harten Alltag zu bieten. Doch die St. Petersburger sagen, daß sie sich die teuren Eintrittskarten gar nicht leisten können. Die Stadtverwaltung hatte zwar Tausende von Tickets an Fabrikarbeiter verteilt, in der Hoffnung, so die Stadien zu füllen. Trotzdem mußten sie später die Preise der regulären Karten von geplanten 25 Dollar auf zuletzt drei Dollar senken, damit die amerikanischen Kamerateams nicht halbleere Stadien filmen mußten. Manche Weltklasse-Athleten sagten schließlich ab, als sie sahen, daß sie gegen Unbekannte antreten sollten. „Wir gehen lieber ins Kirow-Ballett, anstatt um drittklassige Medaillen zu spielen“, sagte der schwedische Handballtrainer Bergt Uhansson. Doch das Kirow- Theater blieb genauso leer wie die Stadien, denn die amerikanischen Organisatoren der Spiele und die 2.000 Journalisten arbeiten meist bis Mitternacht.

Die meisten St. Petersburger erleben die Spiele trotz aller Kritik als Bereicherung zumindest des Fernsehprogramms. Am glücklichsten allerdings sind die vielen Oberschüler, die als Freiwillige den Gästen ihre Hilfe anbieten. „Ich kann mit meinen Freunen zusammenarbeiten, Englisch üben und ein Goodwill-Games-T-Shirt tragen“, sagt die 18jährige Julia. „Seit alle Ferienlager geschlossen sind, hätten wir jetzt sowieso nichts zu tun.“

Siehe auch Seite 22

Übersetzung: Donata Riedel