Einmal pusten

■ Volle Wartezimmer : zu Besuch bei einem indischen Guru hinterm Roland-Center volles Wartezimmer

„Bei mir ist der Krebs jetzt zum zweitenmal ausgebrochen und ich, ich erhoffe mir“ – die junge Frau beginnt zu schluchzen. Der Mann, der vor ihr sitzt, wartet geduldig und freundlich ab, bis sie sich beruhigt hat. „Ich hoffe, einen Weg zu meinen Gefühlen zu finden.“ Der Mann geht auf die Frau zu. Das Licht erlöscht. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtet er zwischen die verzweifelten Augen, berührt leicht mit dem Daumen die tiefe Furche, die sich auf der Mitte der Stirn eingegraben hat, um dann unvermittelt heftig die Stirn der Frau anzupusten. Er streicht ihr mit der flachen Hand über den Kopf. Das Licht geht wieder an, er nimmt einen Apfel aus einem Korb voller Früchte, überreicht ihn. „Den essen Sie bitte selbst, den hat er für Sie gesegnet“, sagt eine Helferin. Die krebskranke Frau bedankt sich in einer Mischung aus Erleichterung, Hoffnung und Skepsis, und er hat sich derweil schon wieder einer anderen Frau zugewendet: „So, what is your Problem?“

Es hat sich viel Elend versammelt an diesem Vormittag in der Freien Heilpraktikerschule in Huchting: Aufgegebene KrebspatientInnen, Männer mit hartnäckigen Magengeschwüren, ältere Damen, denen Einsamkeit und Depression schon von weitem anzusehen sind, leidgeprüfte Eltern, die liebevoll ihr schwer behindertes Kind umsorgen – viel Elend, viel Leid, viel Hoffnung. Die Hoffnung, das ist ein kugelrunder Inder mit freundlichen Augen. Die Hoffnung heißt Guruji Mohan und ist nun schon den dritten Sommer in der Gegend.

In Indien wird der Mann als Heiliger verehrt, tausende bestürmen ihn in seinem Ashram, um - ja, um was eigentlich? Was macht der Mann mit all den Kranken und Siechen? „Ich helfe“, sagt er salomonisch und lächelt. „Er gibt seinen Segen“, sagt eine seiner deutschen SchülerInnen. „Es ist wie bei einem Flugzeug mit automatischer Steuerung“, erklärt ein anderer. „Guruji hat die Fähigkeit, den richtigen Funkspruch zu geben, daß du wieder auf Deinen Kurs kommst.“

„Der Arzt heilt immer nur den physischen Körper. Dabei hat der Mensch daneben auch den geistigen und den spirituellen Körper. An die kommt die normale Medizin nicht heran.“ Er kann das, sagt Guruji Mohan, ein Röntgenspezialist für die Seele. Der ehemalige Student der Wirtschaftswissenschaften ist Heiliger wider Willen: Eines Tages habe ihn ein Mann bestürmt, er möge ihm doch bitte seine Hand auflegen. „Ich habe das gemacht, um ihn endlich loszuwerden. Am nächsten Tag hat der noch andere gebracht.“ Selbst mißtrauisch, ließ er von einem Arzt untersuchen, ob sich bei seinen „Patienten“ tatsächlich eine Besserung ihrer Leiden eingestellt habe. Und siehe da, das war der Fall. Das war das Ende des Wirtschaftswissenschaftlers und der Beginn einer langen Ausbildung bei diversen indischen Gurus.

Wenn man einen Querschnitt durch die Bevölkerung ziehen wollte, in Gurujis Wartezimmer könnte man ihn ziehen. Das ist keine Versammlung von ätherischen Eso-Freaks. Da sitzt der Bremer Facharbeiter von Mitte fünfzig neben der Abiturientin, die Hausfrau aus Syke neben dem Lehrer aus Oldenburg. „Letztes Jahr war eine Bäuerin aus Ostfriesland da, die hat in der Woche darauf einen ganzen Bus voll aus ihrem Dorf vorbeigebracht“, erzählt ein Helfer.

Fauler Zauber? Wer will das entscheiden? Wirklich ist, was wirkt, hat der eigensinnige Freud-Schüler C.G. Jung gesagt. Wirkt Guruji? Fragen, Licht aus, leuchten, pusten – besonders spektakulär ist es nicht, was er veranstaltet. Aber: Viele, die in den vergangenen Jahren dagewesen sind, kommen wieder und bedanken sich mit Blumensträußen und indischen Freßkörben und bringen wieder andere mit. Und was macht er mit den Todkranken, kann er denen ihr Leiden nehmen mit seinem Segen? „Ich kann helfen, daß sie weniger Schmerzen haben“, sagt er. „Aber sterben müssen wir doch alle, das kann ich auch nicht ändern.“ Und lacht. J.G.

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