Zwischen Widerstand und Reaktion

Ausstellung zur Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1933–45 zeigt Arbeiten von Käthe Kollwitz, Gerhard Marcks und anderen Berliner Künstlern / Freiraum unter dem Schutz eines NSDAP-Mitglieds  ■ Von Ulrich Clewing

Carl Georg Heise, der Kunsthistoriker und langjährige Direktor der Hamburger Kunsthalle, nannte sie einmal „eine geheime Insel im nationalsozialistischen Berlin“: die Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Mit einer Ausstellung, die gestern am Hanseatenweg eröffnet wurde, will nun die Akademie der Künste der Legende vom „Roten Haus“ auf den Grund gehen. Gezeigt werden rund 160 Arbeiten von 18 KünstlerInnen, für die die ehemalige Staatliche Kunstschule nicht nur Arbeitsstätte, sondern auch Asyl bedeutete. Zusammengestellt wurde die Schau von Mitarbeitern des Archivs der ehemaligen Akademie der Künste Ost, die 1988 in der Galerie Mitte schon einmal eine Ausstellung zu dem selben Thema veranstaltet hatten.

Käthe Kollwitz, die große alte Dame der sozialbewegten Kunst, war eine der ersten Mieterinnen in der Klosterstraße in Mitte. Sie stieß, nachdem sie von der Akademie der Künste ausgeschlossen worden war, 1934 zur Ateliergemeinschaft. Andere von den braunen Machthabern angefeindete KünstlerInnen folgten: Werner Heldt etwa, Werner Gilles, der Plastiker Gerhard Marcks. Für sie bedeutete das Atelierhaus Klosterstraße ein Freiraum, in dem sie ihrer Kunst weitgehend unbehelligt nachgehen konnten. Zwar wurden sie nicht unterstützt, aber immerhin geduldet. Obwohl der Leiter des Atelierhauses, der Bildhauer Günter Martin, als überzeugter Nazi schon früh in die Partei eingetreten war, vertrat er eine liberalere Kunstauffassung als die übrigen offiziellen Stellen. Die jährlich stattfindenden Fabrikausstellungen glichen daher jedesmal einem Eiertanz. Immer wieder kam es vor, daß die offiziellen Kontrolleure einzelne Werke beanstandeten und deren Entfernung „empfahlen“. Zuwenig „heroisch“ war eine Skulptur wie der „Sterngucker“ von Hermann Blumenthal, zu abstrakt das Menschenbild von Werner Gilles.

Die bekennende Sozialistin Käthe Kollwitz war den Nazis seit langem ein Dorn im Auge: Eine Folge von Zeichnungen wie „Tod“, in den ersten Jahren in der Klosterstraße entstanden, paßte so überhaupt nicht ins völkische Programm. Die meisten ihrer späten Skulpturen, der „Turm der Mütter“, die „Klage“ oder das Relief für ihr eigenes Familiengrab „Ruht in Frieden seiner Hände“, sind am Hanseatenweg ausgestellt. Gleich am Eingang, fast ein bißchen beiläufig auf einem niedrigen Sockel in Kniehöhe plaziert, steht die Pieta, jene Plastik, die vor eineinhalb Jahren im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Neuen Wache für soviel Wirbel sorgte. Hier sieht man erst einmal wieder, wie klein die um ihren Sohn Trauernde im Original wirklich ist.

Offen angegriffen wurde die Naziherrschaft von den Künstlern der Klosterstraße allerdings nie. Werner Heldts kleine Zeichnung „Aufmarsch der Nullen“ von 1935 ist da mit Abstand der kritischste Kommentar zu den damals herrschende Verhältnissen: Man sieht eine unförmige Menschenmasse auf einer Kundgebung, die Heldt in einer Art konkreter Poesie aus lauter aneinandergereihten Nullen malte. Hakenkreuze allerdings tauchen nirgends auf. Die Klosterstraße war kein „Nest des Widerstandes“, im Gegenteil: viele der Künstler machten gute Geschäfte mit den Nazis. Adolf Abel spezialisierte sich auf Adlerfiguren, andere reüssierten mit Athleten oder Führerbüsten. Diese Werke zeigt die Ausstellung leider nicht. Wäre dadurch doch erst eine Ahnung von der Komplexität des alltäglichen Lebens in der Klosterstraße möglich geworden. Und auch Namen wie Kollwitz oder Heldt können insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, daß die hier vertretenen Künstler in ihrer Zeit nicht zur Avantgarde gehörten. Den Weg in die Abstraktion, hin zum Kubismus oder zum Konstruktivismus hat keiner von ihnen vollzogen. Die wirkliche Avantgarde hatten die Nazis in ihrer berüchtigten Aktion „Entartete Kunst“ längst zielsicher diffamiert und eliminiert. Sicher, einer wie Gerhard Marcks war Lehrer am Bauhaus gewesen. Andererseits schied Marcks 1925 aber auch nicht umsonst wegen Streitigkeiten mit Walter Gropius aus dem Lehrbetrieb aus, weil er sich von den Idealen der Moderne entfernt hatte.

Diesen Sonderweg zwischen reaktionärer Kunstdoktrin und der europäischen Avantgarde zu rehabilitieren ist nicht zuletzt Anliegen der Ausstellung am Hanseatenweg. Bedauerlicherweise wird bei diesem zweifellos ehrbaren Unterfangen teilweise deutlich über das Ziel hinausgeschossen – etwa wenn der Kunsthistoriker Jens Semrau, Lehrbeauftragter an der Kunsthochschule Weißensee, in seinem Katalogbeitrag schreibt, daß die Moderne zu Ende der zwanziger Jahre einige eklatante Ermüdungserscheinungen habe erkennen lassen: „Man wird – zu Recht – auf jene Kontinuität gerade der deutschen Plastik hingewiesen, auf die nicht zu leugnende geistige Nähe der Haupttendenzen (der europäischen Plastik überhaupt) zur Nazi-Kunst selbst.“ Da bleibt nur die Diagnose: Dummheit oder böser Wille. So hinterläßt die Ausstellung in ihrer Ausrichtung zwischen historischer Wahrheit und Kunstideologie einen zwiespältigen Eindruck.

Akademie der Künste. Hanseatenweg 10, Tiergarten. Täglich 10–19 Uhr, Montags ab 13 Uhr. Mittwochs freier Eintritt. Ab 9.10. auch in Erfurt.