„Anschläge gefährden das Zusammenleben“

■ Brandanschlag auf türkisches Reisebüro / Interview mit Ahmet Iyidirli, Vorsitzender der türkischen Sozialdemokraten

In der Nacht zum Samstag haben unbekannte Täter einen Brandanschlag auf ein türkisches Reisebüro in Tiergarten verübt. Sie setzten mit einem Molotowcocktail die Eingangstür des Ladenlokals ins Brand. Es entstand geringer Sachschaden. Dies ist innerhalb weniger Wochen der sechste Anschlag auf türkische Einrichtungen in Berlin. Die taz sprach mit Ahmet Iyidirli, dem Vorsitzenden der Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten (HdF), über die Anschlagsserie.

taz: Herr Iyidirli, wie reagiert die türkische Gemeinde auf die Serie von Anschlägen?

Ahmet Iyidirli: Die Leute sind verunsichert. Berlin galt jahrelang als sicherer Ort, das Zusammenleben zwischen Deutschen und Türken hat bis jetzt gut geklappt. Und plötzlich kommt so eine Serie von Anschlägen, deren Hintergrund noch nicht aufgeklärt ist. Solange nicht klar ist, wer dahintersteckt, kocht die Gerüchteküche.

Was für Gerüchte kursieren über die möglichen Hintergründe? Bekanntlich war der Kreuzberger Sportverein Türk el Spor ein Treffpunkt rechtsgerichteter Türken.

Nach dem Anschlag tauchte sofort das Gerücht auf, daß kurdische Nationalisten dahinterstecken. Aber das ist ein Gerücht. Es könnte auch ein rassistischer Anschlag sein, oder es könnten interne Auseinandersetzungen zwischen rechten Gruppen dahinterstehen. Die türkischen Nationalisten befinden sich momentan in einem Spaltungsprozeß.

Bei diesen Anschlägen ist keine Systematik zu erkennen. Der türkische Imbiß im Wedding, auf den in der gleichen Nacht ein Anschlag verübt wurde wie auf Türk el Spor, ist politisch neutral. Anschläge auf Geschäfte oder Reisebüros sind nicht Taktik der türkischen Linken oder Rechten, das ist eher eine Taktik kurdischer Nationalisten. Aber um das behaupten zu können, muß man konkrete Anhaltspunkte haben, warum es gerade diesen oder jenen Laden trifft. Derzeit kann man nur spekulieren. Und das finde ich besonders gefährlich. Solche Anschläge können ziellose, emotionale Reaktionen der Türken auslösen, die das Zusammenleben hier gefährden.

Fühlen sich türkische Geschäftsleute jetzt stärker bedroht?

Sie sind beunruhigt. Ich habe von mehreren Leuten gehört, daß sie jetzt eine Versicherung abgeschlossen haben. Oder sie ergreifen andere Vorsichtsmaßnahmen. Nach Solingen haben viele türkische Familien Feuerlöscher für ihre Wohnungen gekauft. So eine Welle gibt es jetzt bei den türkischen Geschäftsleuten. Sie können sich die Hintergründe der Anschläge nicht erklären. Sie können sich auf die deutschen Institutionen nicht voll verlassen, weil das bis jetzt nicht aufgeklärt ist. Sie müssen sich selbst helfen. Den Leuten muß das Gefühl gegeben werden, daß sie hier im Rahmen der Gesetze in Sicherheit sind. Das ist momentan nicht vorhanden.

Bei dem Anschlag auf Türk el Spor sind drei Menschen schwer verletzt worden. Trotzdem gab es von deutscher Seite kaum Reaktionen.

Vielleicht lag es daran, daß in einigen Zeitungen stand, daß der Verein ein Treffpunkt der Rechten war. Möglicherweise gab es deswegen keine öffentliche Verurteilung der Tat. Deshalb nicht zu reagieren, finde ich aber falsch. Wenn wir von friedlichem Zusammenleben reden, müssen wir auf solche Terror- und Gewaltakte ohne Unterschied reagieren.

Sind die Türken enttäuscht, daß die jüngsten Anschläge sowenig öffentlich diskutiert werden?

In den letzten Jahren steigen die Unsicherheit und das Nicht-Vertrauen in deutsche Institutionen enorm. Diese neuen Ereignisse liefern dafür eine Bestätigung.

Wie wirkt sich das auf die Stimmung unter den TürkInnen aus?

Ich habe fünfzehn Jahre lang für ein friedliches Zusammenleben und Integration gearbeitet, und ich bin sehr enttäuscht. Es gibt momentan einen Ghettoisierungsprozeß. Kreuzberg war nie ein Ghetto, aber jetzt entstehen Ghettos, was ich sehr gefährlich finde.

Was meinen Sie mit Ghettoisierung?

Ich kenne sehr viele junge Leute der zweiten Generation. Die sind hier aufgewachsen und haben hier die Schule besucht. Aber sie bekommen nicht genügend Anerkennung in dieser Gesellschaft. Mit Anfang 20 beginnen sie auf einmal, sich in türkischen Lokalen und Kneipen zu treffen. Sie lernen wieder richtig Türkisch. Am Wochenende gehen sie in eine Disco, in der türkische Popmusik gespielt wird. Früher sind sie in dem Alter eher mit ihren deutschen Freunden in deutsche Kneipen oder Discos gegangen. Das gibt es heute natürlich immer noch, aber es gibt eben auch den gegenläufigen Trend. Ich beobachte noch ein anderes Phänomen: Viele junge Türken tragen neuerdings Halsketten mit Halbmond und Stern. Das sind keineswegs Nationalisten. Die wollen damit ihre Identität sichtbar machen. Dieser Trend, sich von den Deutschen abzusetzen, kann aber auch gefährlich werden. Interview: Dorothee Winden