16 Stunden Fußball, 100 Stunden Krieg

Eher als makabre Kuriosität wurde vor 25 Jahren der knapp fünftägige „Fußballkrieg“ zwischen El Salvador und Honduras betrachtet, der etwa 3.000 Menschen das Leben kostete  ■ Von Matthias Kittmann

Eine kleine Meldung am 8. August 1969 in einer deutschen Boulevardzeitung. Unter der Überschrift „Hundert Stunden Krieg – sechs Stunden Parade“ wurde knapp darauf hingewiesen, daß El Salvador die Beendigung des Krieges gegen Honduras mit einer sechsstündigen „Siegesparade“ gefeiert hatte. Bei den europäischen Zeitgenossen war der unerklärte „Fußballkrieg“ innerhalb kürzester Zeit wieder an seinen exotischen Platz zurückgekehrt.

Daß Fußballergebnisse an Leib und Leben gehen und sogar die Politik beeinflussen, ist auch 25 Jahre später wieder deutlich geworden. In Kolumbien erschoß man National-Verteidiger Andres Escobar, weil er ein Eigentor fabrizierte, in Rumänien ist die Regierung „für fünf Monate vor einem Sturz sicher“, weil die Nationalmannschaft bis ins Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft vordrang – behauptet wenigstens der Nationaltrainer. Doch vom massivsten Ereignis dieser Art ist nur eine Fußnote in den Standardwerken und der Erinnerung übriggeblieben: Der „Fußballkrieg“ zwischen den belächelten „Bananenrepubliken“ El Salvador und Honduras anläßlich der Qualifikation 1969 zur Weltmeisterschaft in Mexiko.

Der Jagdbomber vom Typ Mustang kam im Morgengrauen des 14. Juli 1969. Die umliegenden Hügel der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa warfen das Dröhnen der Bombenexplosionen wie ein Echo zurück. Alle Lichter verloschen, die Stadt versank in Dunkelheit – Stromausfall. Nur wenig später überschritten die salvadorianischen Truppen die Grenze zu Honduras. Der „Fußballkrieg“ hatte begonnen. Über den Rundfunk wurde die allgemeine Mobilmachung der Bevölkerung ausgerufen.

Der polnische Reporter Ryszard Kapuśiński, den sein Gespür einige Tage zuvor nach Honduras getrieben hatte, beschreibt seine ersten Eindrücke so: „Seit dem Morgen hoben die Menschen Gräben aus und bauten Barrikaden. Andere liefen kopflos durch die Straßen, keiner wußte, wohin, es herrschte allgemeine Panik“. An einer anderen Stelle pinselten Studentenbrigaden an Häuserwände: „Rache für das 0:3“. Oder: „Brüder schneidet ab die Ohren/ den memmenhaften Aggressoren.“ Eine weitere lautete: „Schande über Porfirio Ramos, der mit einer Salvadorianerin verheiratet ist.“

Die Polizei trieb seit dem Morgen alle in Honduras befindlichen Bürger El Salvadors in provisorischen Lagern zusammen, die sich meist in Fußballstadien befanden. In Lateinamerika erfüllen die Stadien eine doppelte Rolle: In Friedenszeiten werden dort Spiele ausgetragen, in Krisenzeiten verwandeln sie sich, wie zum Beispiel auch in Argentinien und Chile, in Konzentrationslager. Obwohl sich die Soldaten häufig kaum unterscheiden konnten, wurde mit äußerster Erbitterung gekämpft. Die ärztliche Versorgung der Verwundeten war gleich Null.

„Was wir sahen“, beschreibt Augenzeuge Kapuśiński, „überstieg alle Vorstellungskraft. Einer der Sanitäter ging mit einem Skalpell von einem Verwundeten zum nächsten und holte die Kugeln heraus, so wie man die Kerne aus einem Apfel holt.“ Dabei wußte mancher überhaupt nicht, worum es in diesem Krieg ging. Ein erst vor wenigen Tagen rekrutierter Bauer meinte achselzuckend: „Keine Ahnung. Das ist Sache der Regierung.“

Nach rund hundert Stunden war die heiße Phase des Krieges vorbei. Er kostete weit über 3.000 Menschen das Leben, doppelt so viele wurden verwundet. Mehr als 50.000 Menschen waren danach obdachlos. Zahlreiche Dörfer wurden zerstört. Allein die militärischen Kosten dieser Auseinandersetzung beliefen sich auf etwa 50 Millionen Dollar. Noch wochenlang zog die salvadorianische „Guardia Rural“ umher, um aus Honduras geflüchtete salvadorianische Bürger wieder vom Boden der Großgrundbesitzer – von denen die Gangstertruppe als eine Art Privatarmee zum Schutz ihrer Reichtümer angeheuert worden war – zu vertreiben.

Ausgelöst hatte diesen Krieg ein Qualifikationsspiel zur Fußballweltmeisterschaft in Mexiko. Am 8. Juni 1969 empfing dabei Honduras die Gäste des Nachbarstaates El Salvador, ein in der übrigen Welt unbeachtetes Ereignis. Die salvadorianische Mannschaft traf einen Tag vorher ein und verbrachte eine schlaflose Nacht. Das Hotel war von Menschenmassen umzingelt worden, die mit Steinen die Fenster einwarfen und mit Stöcken auf Wellblech und leere Fässer trommelten. Immer wieder krachten Böllerschüsse, und Autokorsos veranstalteten pausenlose Hupkonzerte. Der Lärm hielt die ganze Nacht an. Am nächsten Tag besiegte Honduras die schlaftrunkene Mannschaft El Salvadors mit 1:0. Tags darauf berichtete die salvadorianische Zeitung El Nacional vom Selbstmord eines jungen Mädchens, „das es nicht verwinden konnte, daß sein Vaterland in die Knie gezwungen wurde.“ An der Spitze des Trauerzuges, der vom Fernsehen übertragen wurde, schritt die Ehrengarde der Armee mit der Fahne. Hinter dem Sarg marschierten der Präsident und die Minister.

Eine Woche später fand das Rückspiel im Stadion „Flor Blanca“ statt. Nun verbrachten die Spieler von Honduras eine schlaflose Nacht. Zum Spiel mußten sie mit einem Panzerwagen gefahren werden. Das Stadion war vom Militär hermetisch abgeriegelt worden. Vor dem Anpfiff zogen die Gastgeber statt der honduranischen Nationalflagge, die vor den Augen der begeisterten Fans verbrannt wurde, einen schmutzigen, löchrigen Fetzen am Fahnenmast hoch. Nach dem Spiel atmete Gästetrainer Mario Griffin erleichtert durch: „Ein Glück, daß wir dieses Match 0:3 verloren haben.“ Während die Mannschaft noch halbwegs ungeschoren davonkam, erging es den Fans schlimmer. Unter Schlägen, Tritten und Steinwürfen wurden sie in Richtung Grenze getrieben. Zwei honduranische Anhänger kamen dabei ums Leben, ein paar Dutzend mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. 150 Autos der Gäste wurden angezündet. Wenige Stunden später wurde die Grenze zwischen den beiden Staaten gesperrt. Am 26. Juni brach El Salvador die diplomatischen Beziehungen zum Nachbarland Honduras ab.

Mögen der Auslöser für diesen Krieg auch die beiden Fußballspiele gewesen sein, der Konflikt zwischen den beiden mittelamerikanischen Staaten schwelte schon seit geraumer Zeit. Das kleine El Salvador, nur etwa halb so groß wie die Schweiz, wies mit knapp vier Millionen Einwohnern die höchste Bevölkerungsdichte Mittelamerikas auf. Der Staat wurde von der Militärdiktatur Fidel Sanchez-Hernandez und den „14 Familien“, Großgrundbesitzerclans, regiert, die das Land unter sich aufgeteilt hatten. Viele besitz- und arbeitslose Bauern waren deshalb im Verlauf der sechziger Jahre in das fast sechs Mal so große Honduras emigriert, das nur 2,5 Millionen Einwohner zählte und somit genügend Freiraum zu bieten schien. Die dortige Diktatur unter General Oswaldo Lopez Arellano hatte die Einwanderung geduldet, wohl auch, weil man sich über das Ausmaß nicht im klaren war.

1969 betrugen die salvadorianischen Exilanten schon mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Zur gleichen Zeit wurden aber auch die honduranischen Bauern unruhig und forderten Land. Doch statt nun die Latifundien der Großgrundbesitzer oder der amerikanischen United Fruit Company aufzuteilen, wurden ihnen in einer Agrarreform die Parzellen der salvadorianischen Einwanderer zugesprochen. Damit waren die Spannungen vorprogrammiert, zumal El Salvador die Emigranten nicht zurückhaben wollte. Präsident Sanchez-Hernandez wiederum drohte eine Wachablösung durch neu entstandene demokratische Parteien und ein glänzender militärischer Sieg hätte seine Position wieder festigen können. Der von der „Organisation amerikanischer Staaten“ (OAS) erzwungene Frieden ergab letztendlich zwar ein militärisches Patt, doch beide Regierungen waren damit hochzufrieden: Für ein paar Tage bestimmten sie die Schlagzeilen der Weltpresse, chauvinistische Emotionen und hurrapatriotische Hysterie festigten ihre Systeme für die nächsten zwei Jahre.

Nur, Frieden herrschte keineswegs zwischen den beiden mittelamerikanischen Ländern, noch nicht einmal die Abwesenheit von Krieg. El Salvador kaufte elf weitere Kampfflugzeuge vom Typ Mustang P 51 und zwei B-26 Bomber aus dem letzten Weltkrieg. Andererseits wurde das deutsche Schiff „Reiderstein“ vor dem Panama-Kanal angehalten, das Kriegsmaterial für Honduras geladen hatte. Außerdem behauptete die salvadorianische Regierung, die USA würden Honduras begünstigen, um eine Intervention Kubas zu verhindern – Fidel Castro soll General Lopez Arellano 25.000 Soldaten zur Abwehr der Invasion aus Salvador angeboten haben. Noch im Frühjahr 1970 drohte nach ständigen kleineren militärischen Händeln im Grenzgebiet ein erneuter Ausbruch des Krieges.

Das Entscheidungsspiel in Mexiko-City, bei dem 1.500 Polizisten für die Sicherheit sorgten, gewann El Salvador mit 3:2 und qualifizierte sich somit nach insgesamt 16 Stunden Fußball und 100 Stunden Krieg für die Weltmeisterschaft, bei der die Mannschaft dann in der Vorrunde an Belgien (0:3), Gastgeber Mexiko (0:4) und der UdSSR (0:2) scheiterte.