Completely different

TV-Kritiker umarmen das Fernsehen (Teil 3): „Monty Python's Flying Circus“  ■ Von Manfred Riepe

Ganz gegen die Realitäten des Programmangebots beschäftigt sich die TV-Kritik stets mit dem Neuen. Dabei lebt das Fernsehen von seiner Serialität. Deshalb setzen sich die taz-Kritiker in dieser Serie ausschließlich mit liebgewordenen Altlasten auseinander.

Als am 25.7.1991 die erste Folge der BBC-Fernsehproduktionen „Monthy Python's Flying Circus“ zunächst auf N3 und dann weiteren dritten Programmen ausgestrahlt wurde, ahnte noch niemand, was auf das deutsche Fernsehen zukam: die totale Detonation. „How not to be seen“ ist ein Sketch, der als Karikatur einer militärischen Dokumentation beginnt. Wer auf Zuruf hinter seinem Buschversteck hervortritt, explodiert...

Grobheiten dieser Art widersprechen dem eher sachlichen deutschen Humor, der vom Normalen ausgeht, um das Groteske erst in der Pointe aufzuspießen. Die Pythons arbeiten umgekehrt. Sie konfrontieren mit dem Grotesken, das durch beharrliche Wiederholung schließlich als Zerrbild der Normalität erkennbar wird: In dem Sketch explodieren immer mehr Leute. Bis am Ende der ganze Erdball detoniert. Kommentar: „Don't be so sentimental, things explode every day.“

Als Steve Martin für das US- amerikanische Fernsehen die besten Python-Sketche zusammenstellte, hat er all jene zündenden Momente der Eskalation weggeschnitten und damit den Unterschied zum amerikanischem Humor sichtbar gemacht. In Deutschland produzierte Thomas Woikewitsch 1972 einige nicht synchronisierte Python-Sketche unter dem Titel „Monty Python blödeln für Deutschland“. Die Mitte der 80er hierzulande einsetzende Python- Renaissance gründete sich auf deren Kinofilme. „Die Ritter der Kokusnuß“ oder „Wunderbare Welt der Schwerkraft“ überzeugten aber nicht recht. Als fernsehspezifische Ausdrucksform füllte der „Flying Circus“-Humor das große Leinwandformat des Kinos anfangs nicht aus. Erst mit dem aufwendig produzierten „Leben des Brian“ schafften die Pythons den Kino-Durchbruch. Die beste Leinwandadaption ihres Humors entstand 1984 mit der skurrilen Orwell-Phantasie „Brazil“, für die der „Flying Circus“-Kartoonist Terry Gilliams verantwortlich zeichnete. „Der erste Film, nach dem ein ganzes Land benannt wurde“ (Gilliams).

Kino erzählt Geschichten, Fernsehen dagegen fragmentiert Wirklichkeit in Momente, Szenen und Ausschnitte, denen die Pythons mit den Mitteln des Sketches begegnen. Angefangen hat alles am 5.10. 1969 im britischen Fernsehen. Wegen des späten Sendeplatzes goutierte anfangs nur eine kleine Fangemeinde, wie die damals kaum bekannten Kabarettisten Graham Chapman (gestorben 1989), John Cleese, Eric Idle, Terry Jones und Michael Palin die Autorität des Fernsehens ad absurdum führten. Ohne TV wäre der Python-Humor nicht denkbar. Und ohne die Pythons wäre Fernsehen ohne wirkliche Kontrolle.

Der aus heutiger Sicht unfaßbare Ideenreichtum der Truppe erklärt sich aus ihrer programmatischen Thematisierung des Mediums. Die kreative Gründungsphase der Pythons fiel 1969 genau mit der Einführung des Farbfernsehens zusammen. Die kostspielige Umstellung des Sendebetriebs führte damals zu einem Amortisierungsdruck. Im Zuge der Kommerzialisierung des Mediums wurden jene neuen Ausdrucksformen hervorgebracht, die uns heute kaum mehr auffallen — den Pythons damals jedoch reichlich Material für Satire boten.

Fernsehen besteht aus einer Unzahl sinnentleerter Sende-Rituale, absurder Stereotypen und wiederkehrenden Genres, deren negative Spiegelung die Pythons in ihrem fliegenden Zirkus zu einer Enzyklopädie vereinigten. Es gibt keine Interviewform, kein Spielfilmgenre, keine Reportage, keine Nachrichten, keine Gameshows, deren bizarrer Realität die Pythons nicht auf den Zahn gefühlt hätten. Der „Flying Circus“ altert nicht; er ist so aktuell, wie das Fernsehen schlecht ist.

Die sichere Imitation telegener Posen erlaubt es Michael Palin, sich in einer Talk-Runde mit einem Holzklotz, einem ausgestopften Kaninchen und einer Pfütze ebenso tiefsinnig zu unterhalten wie mit jedem anderen Studiogast. In der Gameshow müssen die in Politik recht beschlagenen Kanditaten Karl Marx, Wladimir Iljitsch Uljanow Lenin, Mao Tse-tung und Che Guevara bei der simplen Preisfrage passen, wer 1949 das Fußball-Endspiel gegen Leicester gewann (Folge 25). Es findet sich auch kein Kandidat, der in der Badehose Marcel Prousts zehnbändiges Epos „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in dreißig Sekunden nacherzählt (Folge 31).

Monoton behauptet Fernsehen ständig irgend etwas. Da fällt es im Prinzip gar nicht auf, wenn in Wort und Bild gezeigt wird, wie ein Hochhaus von Romanfiguren aus der englischen Literatur des 19. Jahrhunderts gemauert wird. Der unbeirrbar stumpfsinnige Redefluß der Sportberichterstattung wird beim Fußballspiel der Philosophen, bei den 100 Metern für Nichtschwimmer („wir schalten zurück, sobald die Leichen aus dem Wasser gefischt werden“) und dem Sprint der Gehörlosen (sie hören den Startschuß nicht) demaskiert. Unvergessen sind die Kino-Sketche, allen voran das Picknick mit Sam Peckinpah, ein Splatter-Sketch, bei dem kein Auge in der Höhle bleibt (Folge 33). „Escape from film“ zeigt eine Expedition, die sich hoffnungslos verirrt hat. Bis John Cleese auf die rettende Idee kommt, einfach zum Kameramann zu gehen: Händeschütteln, gerettet, Erleichertung. Aber: „Who's filming us now?“ Zusammengehalten wird der Pythonsche „stream of conciousnes“ zum einen von Terry Gilliams Cartoons, zum anderen von haarsträubenden Nonsens-Anschlüssen.

Die Logik der szenischen Verbindung zwischen den Sketchen — bei anderen Komikern eine Schwachstelle — ist eine Stärke der Pythons und läßt sich bestenfalls noch mit den Freudschen Begriffen „Verschiebung“ und „Verdichtung“ beschreiben. Fällt ihnen mal nichts ein, so wird die Ideen- Not thematisiert, man bricht den Sketch ab und liest erboste Zuschauerbriefe vor. Oder es tritt gleich der Ritter mit dem gerupften Huhn auf. Nicht zu vergessen der „It's-Man“, der nur diesen Satz hat.

Was kann noch gesagt werden?: Das Gesamtkonzept „Flying Circus“ entspricht inszenierter Poesie, Gedichten im Fernsehformat. Die 45 TV-Folgen bilden ein intertextuelles Gestrüpp aus unendlich vielen Querverweisen. Nach den Pythons ist Fernsehen nicht mehr, was es vorher war.