Mexiko: Wählen oder nicht?

Oppositionsgruppen tagen hinter verschlossenen Türen  ■ Aus San Cristóbal Anne Huffschmid

Ob sich im zapatistischen Regenwald ein Massaker wie 1968 – als Hunderte von wehrlosen StudentInnen von der Armee erschossen wurden – wiederholen könne, wollte ein besorgter Reporter wissen. Die Organisatoren der Nationalen Demokratischen Konvention (CND) winken gelassen ab: die Probleme seien eher logistischer Natur, schließlich müssen 6.000 VertreterInnen aus allen Teilen des Landes und nicht weniger als 700 JournalistInnen zu dem oppositionellen Meeting in der Zapatistenzone im Süden Mexikos akkreditiert werden. Und tatsächlich sind Landesregierung und Armee in Chiapas bislang um Entspannung bemüht. Während in der mexikanischen Hauptstadt Abgeordnete der Regierungspartei PRI und der rechtsliberalen PAN die CND in Chiapas als „verfassungsfeindliche Veranstaltung“ bezeichneten, äußerte sich am Samsatg Landesgouverneur Javier López Moreno „befriedigt über das Klima der Normalität“.

Der Startschuß ist jedenfalls gefallen. Nachdem das Kolonialstädtchen San Cristóbal in den letzten Tagen einem Wespennest geglichen hatte, schlenderten am Samstag nur noch entspannte Touristen und gehetzte Medienvertreter durch die Straßen: die Delegierten, gewählt auf Landeskonventionen in jedem einzelnen der 32 Bundesstaaten, begannen in fünf Arbeitsgruppen über die Zukunft der Republik zu diskutieren. In einem „produktiven Klima“, so CND-Sprecher auf der abendlichen Pressekonferenz, debattierten die TeilnehmerInnen über Alternativen zum PRI-Monopol, das Programm einer künftigen Übergangsregierung, Möglichkeiten zivilen Widerstands im Fall von Wahlbetrug sowie die Notwendigkeit, eine neue Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Die zapatistischen Vorschläge zur Umgestaltung des politischen Lebens seien allgemein „auf große Zustimmung“ gestoßen, konkrete Ergebnisse liegen nach diesem ersten Tag der CND erwartungsgemäß noch nicht vor. In den folgenden Tagen werden die Resolutionen der AGs auf einem Plenum im Regenwald vorgestellt und abgestimmt.

Klar ist schon jetzt, daß das Abschlußmanifest nicht in irgendeiner Schublade versickert: als Regierungsprogramm will man es dem künftigen Präsidenten vorlegen. „Alle Parteien werden die Impulse dieser Konvention aufgreifen müssen“, prophezeite in San Cristóbal der Theologe Miguel Concha. Als „Beispiel für die ganze Welt“ bezeichnete der Generalsekretär der Grünen im Europaparlament, Juan Behrend, der als Beobachter angereist war, das neozapatistische Spektakel.

Für Unmut sorgte allerdings die Politik der „geschlossenen Türen“ der CND-Veranstalter: Zugang zu den Arbeitsgruppen hatten nur internationale Beobachter und prominente „Gäste“, nicht aber die Medien. „Damit später nicht im Boulevard-Stil die Information über die interne Diskussion verzerrt wird“, lautete die Begründung. „Schlimmer als Regierungsfunktionäre“, empörten sich dagegen die Journalisten. Selbst der renommierte Schriftsteller Carlos Monsivais, der die CND als Journalist „beobachten“ will, beschwerte sich über diesen „Akt der Intoleranz“ ironisch: „Aus Sicherheitsgründen werden sich wohl alle die Ohren zuhalten müssen.“

Denn bei allem Enthusiasmus über die Gemeinsamkeiten: die Vorstellungen über Wege zu „Frieden“ und „Demokratie“ gehen, wie nicht anders zu erwarten, auseinander. So sind beispielsweise längst nicht alle TeilnehmerInnen vom parlamentarischen Weg überzeugt. Wählen oder Nicht-Wählen? war eine der heiß umstrittenen Fragen. Zwar ist, so berichten Beobachter aus der Wahl-AG, die Mehrheit für den Stimmzettel „gegen die PRI“ am 21. August. Uneinig war man sich aber darüber, ob man explizit zur Wahl für den linken PRD-Kandidaten Cárdenas aufrufen soll, oder – angesichts des allgemein befürchteten Wahlbetrugs – gleich für Stimmenthaltung und „zivilen Widerstand“ am 22. August plädiert. Die Diskussion dauerte bei Redaktionsschluß an.

Gestern morgen wollte eine Karawane von 150 Autobussen in die von der EZLN kontrollierten Zone aufbrechen. Aufgrund der strengen zapatistischen Pressepolitik wird die Weltöffentlichkeit allerdings erst in der kommenden Woche über die schon jetzt als „historisch“ gehandelte Begegnung zwischen Zivilgesellschaft und Zapatistenarmee im Niemandsland der EZLN erfahren. Diese soll, so Subcomandante Marcos, dazu dienen, „den Bürgerkrieg zu verhindern“, der dem Land drohe, wenn am 21. August der PRI-Kandidat Zedillo mittels Wahlfälschung zum Präsidenten erklärt werde.

Bischof Samuel Ruiz drückte es in seiner Messe am Vorabend des Konventionsbeginns ein wenig sanfter aus. Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen gab der Geistliche, der aufgrund seiner „kirchlichen Funktionen“ nicht persönlich teilnehmen wird, den Convencionistas seinen Segen mit auf ihren ungewöhnlichen Weg: „Boten des Friedens, verbreitet die guten Neuigkeiten und baut eine neue Welt.“ Vor dem Gotteshaus, das längst zur „Friedenskathedrale“ umgetauft ist, hallten Samstag nacht die revolutionären Balladen aus den Lautsprecherboxen: das altvertraute „Bella Ciao“, aber auf zapatistisch.