■ Deutschland anonym: „Theoretisch könnte ich Bürgermeister werden“
Wie ist das eigentlich, wenn man bisher Türke war und mit der Einbürgerung Deutscher wird?
Ich habe mich gefreut, Deutscher zu werden, aber ich hatte auch nicht diese großen Erwartungen. Mir war bewußt, daß die gesellschaftliche Anerkennung immer noch nicht da ist, auch wenn ich einen deutschen Paß habe. Mir ist der Schritt aber nicht schwergefallen, weil ich meine türkische Staatsbürgerschaft behalten konnte.
Erinnerst du dich an den Tag, an dem du Deutscher wurdest?
Ich mußte dafür zur Senatsinnenverwaltung. Freunde, die auch die deutsche Staatbürgerschaft angenommen haben, hatten mir erzählt, man müßte aufs Grundgesetz schwören. Aber das brauchte ich nicht.
Wäre es dir schwergefallen?
Ehrlich gesagt, nein. Mittlerweile identifiziere ich mich mit dem System hier, mir würde es viel schwerer fallen, auf das türkische Grundgesetz zu schwören, das ja undemokratisch ist.
War das ein wichtiger Tag in deinem Leben?
Ich bin dann zwar ganz normal zur Arbeit gegangen. Aber das war schon ein Wendepunkt. Man fühlt sich diesem Land näher.
Nur weil man einen deutschen Paß hat?
Es ist zwar alles nur juristisch. Aber man hat diesen Paß, und es wird einem bewußt, daß man mehr Rechte hat: Mensch, du kannst ja jetzt wählen, du kannst mitbestimmen. Theoretisch könnte ich ja Bürgermeister von Kreuzberg werden.
Das ist also mehr als nur eine Formalie?
Natürlich. Ich habe mich auch vorher mit diesem Land, mit dieser Gesellschaft identifiziert. Aber dann ist es nähergerückt und die Türkei immer weiter weg.
Er kommt aus der Türkei und lebt schon seit seinem achten Lebensjahr in Deutschland. Vor zwei Jahren ließ sich der 30jährige Sozialpädagoge einbürgern – ein Berliner Türke, der jetzt auch Deutscher ist.
Wenn du nach Frankreich oder nach Spanien fährst, was sagst du, woher du kommst?
Aus Berlin.
Und wenn dich jemand fragt, ob du Deutscher oder Türke bist?
Früher habe ich gesagt, ich bin ein Berliner Türke. Mittlerweile sage ich: Ich komme aus Berlin und habe die deutsche Staatsbürgerschaft.
Welchen Paß zeigst du an der Grenze vor?
Den deutschen. Außer in der Türkei.
Warum den deutschen?
Weil der türkische Paß nichts wert ist. An der Grenze schon gar nicht.
Wenn die deutsche Nationalmannschaft Fußball spielt, jubelst du dann bei einem Tor?
Wenn sie gut spielen. Vor vier Jahren, als sie Weltmeister wurden, ja.
Und wenn Deutschland gegen die Türkei spielt?
Vor ein paar Jahren habe ich noch für die Türkei die Daumen gedrückt. Jetzt weiß ich nicht so recht. Wahrscheinlich wäre ich doch mehr für die Türken, weil sie die Schwächeren sind.
Bist du stolz, ein Deutscher zu sein?
Ich war noch nie stolz, ein Türke zu sein, und ich werde auch nicht stolz sein, Deutscher zu sein. Nationale Identität ist für mich unwichtig. Wichtig ist: Inwieweit identifiziere ich mich mit der Verfassung, mit dem System dieses Landes?
Welche Tugenden magst du an den Deutschen?
Die Ordnung. Damit meine ich nicht die Ordnung auf meinem Schreibtisch. Aber daß man ganz genau weiß, wann man was tut. Es ist überschaubar, es gibt eine bestimmte Berechenbarkeit. Das ist in undemokratischen Staaten oder in Dritte-Welt-Ländern ganz anders.
Was magst du an den Türken?
Ich liebe diese lockere Art, Dinge zu sehen, sich Zeit zu lassen bei einigen Sachen. Wenn ich sehe, wie die Leute hier beim Einkaufen rumrennen! Wenn man einkauft, rennt man doch nicht herum, dann guckt man sich die Dinge in Ruhe an. Mittlerweile renne ich allerdings auch rum. Interview: Vera Gaserow/
Sven Christian
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