Es geht farblos in den Herbst

■ Einen Tag nach Sommerschlußverkauf füllen Wollklamotten die Regale Von Kaija Kutter

Der Mann im Bus trägt ein schwarzgrau kariertes Jacket. Dazu ein weißes Polohemd und weinrote Halbschuhe und Strümpfe. Zu warm, zeitlos, unverbindlich, modelos, vielleicht so, wie ein Mann nach fünf Jahren aus dem Gefängnis kommt. Er liest Spiegel, die Augen verkniffen, das schüttere Haar naß nach hinten gekämmt. Sein Gesichtsausdruck läßt ahnen, daß er schwierige Zeiten hinter sich hat.

Mode am 8. August 1994. Einen Tag nach Sommerschlußverkauf wird die Modeuhr plantreu eine Viertelumdrehung weitergedreht. Ein Gang durch die Geschäfte der Innenstadt verrät nicht, daß die Händler auf einem Großteil der Ware sitzengeblieben sind – laut Einzelhandelsverband war es der schlechteste Sommerschlußverkauf seit 1969.

Ein bekannter Modeladen hängt schnell noch einen Sonderposten Leinenshorts raus – 39 Mark das Stück, wo doch in der Zeitung stand, daß es die nicht mehr gebe. Aber sonst fristet die Sommerware ein Schattendasein in den hinteren Ladenräumen, dicht gedrängt unter Hinweisschildern „stark reduziert“. Von Sommerschlußverkauf keine Rede mehr, die Ereignisrangfolge muß gewahrt werden. Und auch von Sonnenkleidung ist nichts mehr zu sehen. Nur die gemeinen Ramsch-Kaufhäuser bieten noch Badehosen, T-Shirts, Altdamen-Blusen und Knitterfaltenröcke zum Kauf. Die Schaufenster der edleren Geschäfte sehen aus, als rüstete sich Lady Diana zur Fuchsjagd auf dem Land. Rustikale Tweed-Jackets, dicke Wollschals, Rollkragenpullover und Kappen aus Mohair. Der Herbst ist da. Die Grobleinenphase des Frühlings scheint passé, Wolle in allen Variationen ist auf dem Vormarsch.

Das schlimmste, die Farbe: schwachbraun. So wie auf einem Schwarzweiß-Foto, das nicht ausreichend fixiert wurde.

Wir werden es mitmachen, wir werden auch dies schön finden und die im März ergatterte Leinenkollektion in die hinteren Schränke verbannen.

Modewechsel, das macht auch was mit einem. Melancholisch nämlich. Wenn der Wert des noch beim letzten Ladenbesuch beäugten 70-Marks-Pullovers mit einmal um 80 Prozent sinkt. Wenn es dem Händler nichts mehr wert ist, warum dann dem Käufer? Und das blaue Muster beißt sich mit dem Fixativbraun. Schön muß es gewesen sein, als Mäntel noch 15 Jahre hielten und Pullover so gekonnt gestopft wurden, daß niemand es sah.

Es gibt erfreuliche Tendenzen. Es gibt keine Stöckelschuhe mehr, nur noch breitsohlige Boots zum Schnüren. Reicht ja auch, daß sich in den 80ern eine weitere Generation von Frauen damit die Füße ruininiert hat. Letzteres wird jetzt auch wieder in Frauenzeitschriften publiziert. Dafür muß sich die weibliche Kundschaft T-Shirts in Kleinkindgröße bieten lassen. Immerhin, die weiten, langen Kleider dieses Sommers waren eine gute Idee. Nur schade, daß die fast alle ausverkauft sind.

Vielleicht sind nicht die heißen Temperaturen, sondern die Modemacher schuld am schlechtesten Ergebnis und die grob zusammengenähten Klamotten finden keinen Gefallen beim Publikum. Manches Modestück in diesem Frühjahr sah aus wie das Klischee von Gefängniskleidung im amerikanischen Film.

Wie Mode wohl wirkt, auf jemanden, der nach fünf Jahren wieder nach draußen kommt? Schlicht nur von dem Bedürfnis getragen, Jacke, Hose und Schuhe zu tragen und nicht aufzufallen. Vielleicht gar nicht, und er hat Wichtigeres im Sinn.