Viele Bomben sind unentdeckt

Mit Luftaufnahmen der Allierten und mit Magnetsonden suchen private Bergungsfirmen nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg  ■ Von Peter Lerch

Meier wolle er heißen, erklärte der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, 1940 großspurig, falls es einem feindlichen Flugzeug gelänge, bis nach Berlin vorzudringen.

Als es dann ganz anders kam und nicht nur ein Flugzeug, sondern Tag für Tag und Nacht für Nacht ganze Geschwader von Bombern in deutsche Gebiete einflogen, hatte der schwergewichtige Renommier-Nazi seinen Spitznamen weg und wurde von der Bevölkerung seitdem nur noch Hermann Meyer genannt.

Der Umstand, der Göring einen Spitznamen und der Zivilbevölkerung unermeßliches Elend einbrachte, verschaffte den Kampfmittelräumungs-Unternehmen volle Auftragsbücher bis ins nächste Jahrtausend. Denn rund 20 Prozent der von den Briten und den Amerikanern über Berlin abgeworfenen rund zwanzigtausend Tonnen Bomben zündeten nicht und liegen teilweise heute noch als Blindgänger in Seen, Naherholungsgebieten und auf Baugrundstücken.

So auch die Phosphorbombe, die vergangene Woche am Tegeler See gefunden wurde. „Ganz offensichtlich ist die Bombe korridiert und dadurch undicht geworden“, erklärt Reinhold Häber, der Leiter des Bereiches Kampfmittelräumung der Berliner Firma Hirdes, die im Senatsauftrag mit der Bombensuche beauftragt ist. „Was hier aufsteigt, sind Phosphorbläschen. Wenn Phosphor mit der Haut in Berührung kommt, gibt es schlimme Wunden, meist hilft dann nur noch eine Hauttransplantation.“

Hier, dicht am Anlegesteg des Segelsportvereins „Odin“, war Segelsportlern ein vom Grunde des Sees aufsteigendes Blubbern aufgefallen. Eine Wasserflächensondierung der Kampfmittelräumungsfirma hatte ergeben, daß dort ein Blindgänger liegen müsse. Die aufsteigenden Bläschen stammten von einer Phosphorbombe aus dem Zweiten Weltkrieg.

Noch während ein Taucher versucht, mit Unterwassersonden die Bombe genau zu lokalisieren, um sie dann mit Wasserdruck freizuspülen, weiß der Experte, was da auf dem Grunde des Sees liegt: „Bei der Bombe handelt es sich um eine 18 Zoll lange britische MK3 mit Aufschlagzünder.“ Dazu muß Reinhold Häber den Blindgänger nicht sehen. Er weiß, wann welche Bomben von wem und vor allem wo abgeworfen wurden. „Wir stützen uns auf Luftbildauswertungen der Alliierten, die während des Krieges die Ergebnisse ihrer Abwürfe fotografisch dokumentiert haben.“

Ist die Bombe dann mittels Wasserdruck vom Sediment befreit, wird sie vom Taucher in einen Jutesack und anschließend in eine Aluminiumkiste gepackt. „Durch den plötzlichen Druckunterschied kann es zu einem verstärkten Austritt von Phosphor kommen“, erklärt der Bergungsexperte, der bei der ganzen Aktion eher einen gelangweilten Eindruck macht und nur hie und da mal zum Einsatzfahrzeug läuft, um dem Taucher über Funk eine Anweisung zu geben.

Eine andere Bergungsmethode ist die durch einen Unterwassermagneten mit einer Anzugskraft von acht Tonnen. Wenn all das nicht funktioniert, muß die Bombe vor Ort gesprengt werden. Wie die in der vergangegen Woche im Lehnitzsee bei Oranienburg entdeckte amerikanische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Wie Untersuchungen von Experten des brandenburgischen Munitionsbergungsdienstes Barthel und Schreiber GmbH zuvor ergeben hatten, war die Bombe im Lehnitzsee mit einem derart hochsensiblen Langzeitzünder ausgerüstet gewesen, daß ein Abtransport zu gefährlich gewesen wäre. Der Zünder war zudem mit einer besonderen Sicherung gegen Entschärfungen gesichert.

Um ein Umschreiben des Berliner Stadtplanes zu vermeiden, hatte man sich entschlossen, den fünf Zentner schweren Blindgänger lieber an Ort und Stelle in die Luft zu jagen. Zu diesem Zweck hatte man die 30 Meter vom Ufer entfernt im Wasser liegende Bombe von einer vierköpfigen Taucher-Crew vom Bodenschlamm befreien lassen, sie dann in einen Luftsack gehüllt und mit Hilfe des entstandenen Auftriebs auf die Mitte des Sees bugsiert. Dort wurde eine mit Bojen gekennzeichnete Sicherheitszone von einhundert Metern eingerichtet. Um 12.45 Uhr war es endlich soweit: Der gelbe Ballon mit der Bombe kam zum Stillstand. Zu diesem Zeitpunkt hatte man die Anwohner im Umkreis von einem Kilometer durch die Polizei evakuieren lassen. Alle zum See führenden Zufahrtsstraßen waren durch Polizei und Feuerwehr abgesperrt worden.

Punkt 13 Uhr ertönten kurz hintereinander zwei Signaltöne. Gleich darauf schoß eine Wasserfontäne 60 Meter in die Höhe – zwei zuvor angebrachte Sprengladungen brachten, ferngezündet, die Bombe zur Explosion.

Kurz vor 13.30 Uhr gaben die Sirenen in Oranienburg und Lehnitz Entwarnung.

Gewiß nicht der letzte Einsatz für die Experten vom Bombenbergungsunternehmen Barthel und Schreiber GmbH. Denn in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges waren hier am Lehnitzsee Hunderte von Bomben abgeworfen worden, von denen viele Blindgänger waren. Die wenigsten sind bisher entdeckt worden.