Im Wald, da sind die Adligen

In Brandenburg bietet die Treuhand-Nachfolgegesellschaft BVVG die ersten Waldstücke zum Kauf an, auch im Naturschutzgebiet  ■ Aus Ringofen Jantje Hannover

Das einstöckige Wohnhaus auf der Lichtung im Wald bei Templin ist frisch verputzt. Ein offener Geräteschuppen aus unbehandeltem Holz steht daneben, dazu ein zweites Haus aus gelbem Klinker. Das ist das Forstamt Ringofen. Ein paar selbst gepinselte Wegweiser direkt am Waldausgang schicken etwaige Besucher quer durch Büsche und enggewachsene Kiefern in Richtung Prenzlau, Templin oder Angermünde. Seit 20 Jahren ist die kleine Försterei in Nordbrandenburg die Station, von der aus Ernst Pries seine „Forstliche Standorterkundung“ betrieb: In minutiöser Kleinarbeit analysierte und beobachtete er Böden, Klima und Wasserhaushalt und hielt die Ergebnisse in detaillierten Karten fest.

Im April ist der Sechzigjährige in Rente gegangen, freiwillig. Seit die Treuhand mit ihrem Ableger BVVG (Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft) zur Privatisierung der ostdeutschen Wälder angetreten ist, hat der Templiner Kreistagsabgeordnete der Grünen Wichtigeres zu tun. Nur wenige Kilometer vom Ringofener Forstamt entfernt zeichnet die Marktwirtschaft ihre Spuren in den sandigen Waldboden: Aus dem Naturpark Feldberg-Lychener Seenlandschaft soll ein 1.420 Hektar großes Areal, der Forst Hohe Heide, herausgelöst werden. Das ist das größte Stück Wald, das die BVVG bisher zum Verkauf angeboten hat.

„Der Naturpark gehört zu den landschaftlich schönsten Gebieten in Nordbrandenburg“, heißt es im Ausschreibungspapier zu Recht. Die von der Oberförsterei Brüsenwalde verwaltete Gegend hinter Templin ist ein fast unberührtes Paradies. Seen und Moore ergänzen das Landschaftsbild des Kiefernwaldes, fünf See-, vier Fischadler- und zwei Schwarzstorchpärchen brüten hier. Teilweise steht das Gebiet unter Naturschutz, eine Nachwende-Errungenschaft des rührigen Herrn Pries. 22 Angebote für den Forst Hohe Heide liegen der BVVG bereits vor. Die Antragsteller müssen ein komplettes Betriebskonzept erstellen, das über fachliche Qualifikation, Arbeitsplätze, Hiebsatz usw. Auskunft gibt. Über die Namen potentieller Käufer und über Zahlungsmodalitäten schweigt sich die Gesellschaft aus. Nur soviel ist zu erfahren, daß der Preis sich nach dem besten Gebot richtet, ein gewisses Minimum aber nicht unterschritten werden dürfe.

„Hier soll zu Schleuderpreisen verkauft werden“, befürchtet Christian Unselt vom Naturschutzbund, der von Preisen zwischen 1.000 und 3.000 DM weiß – üblich sind bis zu 10.000 DM. Kein Wunder, daß Ernst Pries seither mit klassenkämpferischen Tönen die AGDW (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände) auf die Palme treibt. Das ist die Lobby der angehenden neuen Herren im ostdeutschen Wald.

Pries hat durchaus Argumente: „Wer Wald in antiquierterweise nach seiner Holzproduktion bewertet, verdrängt die ökologische Krise. Wald ist als Lebensraum der Menschen unbezahlbar und damit unverkäuflich geworden.“ Tatsächlich muß man beim Wald von einem Bedeutungswandel im Verlauf der letzten Jahrzehnte sprechen. Stetig sinkende Holzpreise drängen den wirtschaftlichen Aspekt immer mehr ins Hintertreffen, während die sogenannten Waldfunktionen im Zusammenhang mit der globalen ökologischen Krise eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Wasserschutz durch Wasserspeicherung und -reinigung, Bodenschutz gegen Erosion, Klimaschutz, Immissionsschutz durch Luftreinhaltung, Arten- und Biotopschutz und natürlich die Erholungsfunktion.

Demgegenüber steht die Waldschadensbilanz. Bis zu 70 Prozent aller Bäume in Brandenburg sind krank, Tendenz steigend. „Eigentlich müßte man gerade die gesunden, hiebsreifen Bäume stehenlassen“, sagt der alte Forstmann Pries, der sich standesgemäß in tarnfarbene Kniebundhosen kleidet. „Die haben das genetisch bessere Material für zukünftige Baumgenerationen.“ Eine undenkbare Haltung allerdings für jeden, der mit dem Wald rentabel wirtschaften will. Was hat also jemand wirklich vor, der einen defizitären Betrieb aufkauft, fragen sich viele Brandenburger.

„Wir verkaufen kein Billigland zu Spekulationszwecken“, betont Franz Ludwig Graf Stauffenberg, Geschäftsführer der BVVG für die Abteilung Forsten. „Eine andere als die forstliche Nutzung ist den Käufern nicht gestattet.“ Bis Dezember 1992 war Stauffenberg, selbst Waldbesitzer in Westdeutschland, Vorsitzender der AGDW – ein Posten, den er aufgeben mußte, um dem Lobbyistenvorwurf zu entgehen. „Die unternehmerischen Qualitäten des Staates hat man hier doch die letzten 40 Jahre zur Genüge studieren können“, verkündet der Graf aus seinem Ostberliner Büro. Die Abteilung handelt im per Einigungsvertrag besiegelten gesetzlichen Auftrag, der nach der Rückgabe der Staatsforsten und des Kommunalwaldes den Verkauf der ehemals volkseigenen Flächen vorsieht. Für die Treuhandanstalt kann das nicht schnell genug gehen – schließlich kostet sie jeder Hektar 300 DM jährlich für Verwaltung und Pflege. Im Land Brandenburg sind es insgesamt 300.000 Hektar, das sind 29 Prozent der gesamten Waldfläche. Zählt man die Besitzungen der Kleinstwaldeigentümer von einem bis fünf Hektar Größe dazu, dann wäre weniger als die Hälfte der Forsten unter öffentlich-rechtlicher Verwaltung (alte Bundesländer: 60 Prozent).

Interessanterweise haben sich gerade diverse westdeutsche Waldbesitzer mit ökologischer Waldbewirtschaftung einen Namen gemacht. Die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (AGW) unter dem Vorsitz von Freiherrn Sebastian von Rothenhan: „Wir betreiben ökologischen Waldbau, gerade weil er am wirtschaftlichsten ist.“ Mischwälder sind resistent gegen Käferbefall und Sturmschäden und deswegen kostensparend.

Diverse Brandenburger Kreistage, darunter Potsdam, Templin und Schwedt, haben trotzdem kein Vertrauen in die neuen Herren. Die Stadtverordnetenversammlung Schwedt beschloß vor Jahresfrist: „Verschärft durch die Umweltsituation ist Forstwirtschaft durch Holzverkauf gegenwärtig nirgends kostendeckend zu betreiben. Deshalb ist bei einer Privatisierung größerer Waldflächen mit hohen Stützungsforderungen der künftigen Eigentümer an den Staat zu rechnen.“ Tatsächlich sind im Waldgesetz Entschädigungsleistungen des Landes an Waldbesitzer festgeschrieben, sofern dieser sein Eigentum aufgrund von Naturschutzauflagen nicht voll bewirtschaften kann.

Auch die Naturschutzverbände, allen voran der Naturschutzbund (NABU), haben inzwischen eine moderatere Gangart gegenüber der Privatisierung eingeschlagen. Sie fordern die BVVG zum vorläufigen Stopp der Verkäufe auf, bis die Naturschutzbehörden alle naturschutzrelevanten Gebiete ausgewiesen haben, um diese dann vom Verkauf auszuschließen. Außerdem wollen sie eine Verpflichtung zur naturgemäßen Waldwirtschaft sowie einen Verzicht auf Entschädigungszahlungen im Falle von Nutzungseinschränkungen in die Verträge aufgenommen wissen. Klar ist, daß man es auf der Käuferseite mit einer illustren blaublütigen Gesellschaft zu tun hat. So konnten unlängst 836 Hektar in Thüringen an Franz Alexander Fürst von Isenburg veräußert werden, während in Mecklenburg seit kurzem der Herzog Mecklenburg über 455 Hektar Wald residiert. Die Opfer der Bodenreform (sowjetische Enteignungen von 1945 bis 1949) sind natürlich mit von der Partie, wenn die ostdeutschen Wälder unter den Hammer kommen. Der Naturpark Feldberg-Lychener Seenplatte mitsamt dem Forst Hohe Heide gehörte einstmals den von Arnims. 12.000 Hektar Wald hatte Adolf-Heinrich von Arnim mal besessen, der sich mit einem künstlichen Bein nur noch mühsam vorwärtsbewegen kann: „Ich will nicht mehr als ausreicht, um eine Familie zu ernähren“, sagt der freundliche alte Herr betont bescheiden, der sich als Verfechter einer „gerechten“ Bodenreform – ohne Mord und Totschlag – bezeichnet. Falls er allerdings aus dem Entschädigungsfonds Zahlungen erhielte, und das wird er in jedem Fall, wolle er dafür Wald zurückkaufen.

Vorerst ist der alte Adlige mit seiner Frau an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt – in das Jagdschloß in Mahlendorf, ein bildschönes kleines Fachwerkhaus mit Spitzdach und kleinem Turm, frisch renoviert in Rosa und Türkis. Bis zur Wende hatte in dem auf einer Anhöhe über dem großen Küstrinsee gelegenen Haus Werner Krolikowski gelebt, der zuständige Mann im ZK für Landwirtschaft und Forsten. Am Ausschreibungsverfahren der BVVG hat sich von Arnim nicht beteiligt: „Ich bin gegen die Privatisierung, wie sie gegenwärtig praktiziert wird“, sagt der Alteigentümer; aus wirtschaftlichen Gründen, die ausgewiesenen Flächen findet er zu klein: „Eine effektive Schädlingsbekämpfung zum Beispiel ist bei solch kleinen Einheiten unmöglich.“