: „Gemeinsam sind wir stark“ Von Andrea Böhm
Zweimal werden wir noch wach – und dann steht nicht Weihnachten vor der Tür, sondern ein amerikanisches Desaster. Manche würden sagen: ein unamerikanisches Desaster. Denn viele in den USA halten Streiken für so unamerikanisch wie Sozialismus. Bei dem bevorstehenden Desaster handelt es sich um eine Arbeitsniederlegung mit erschwerenden Tatumständen. Es sind nicht irgendwelche Arbeiter, die da Hammer oder Griffel fallen lassen, sondern die Profispieler der Baseballiga.
Nun entsprechen die Herren in den sonderbaren Strampelanzügen nicht gerade dem Prototyp eines Mitglieds der Arbeiterklasse, wobei dieser Begriff in den USA immer schon verpönt war. Das Kriterium der Klasse dient hier ausschließlich zur Einstufung von Schulkindern oder Flugpassagieren. Baseballprofis verdienen fünf Millionen Dollar und mehr pro Saison dafür, daß sie ausgiebigst Kaugummi zwischen ihren Kiefern hin und her bewegen und mit einem Holzknüppel auf einen Lederball eindreschen. Meist mit mäßigem Erfolg, weshalb Baseballspiele bis zu vier Stunden dauern, in denen die Kaumuskeln der Spieler weitaus stärker beansprucht werden als Arme oder Beine.
Trotzdem sind es ausgerechnet die Stars der „Baltimore Orioles“, der „New York Yankees“ oder der „Cleveland Indians“, die der amerikanischen Öffentlichkeit plötzlich vor Augen führen, welch erstaunliche Wirkung man mit dem Grundsatz „Gemeinsam sind wir stark“ erzielen kann – in einem Land, in dem nur noch zwölf Prozent aller ArbeitnehmerInnen im privaten Sektor einen Gewerkschaftsausweis in der Tasche haben und in dem es auch unter einem Präsidenten Clinton legal bleibt, streikende Arbeiter durch Streikbrecher zu ersetzen. In diesem Fall hat nun die Gewerkschaft der Baseballspieler angedroht, ab Freitag die Knüppel ruhen zu lassen, falls die Besitzer der Teams weiterhin auf einer Obergrenze für Saisongehälter bestehen. Die Arbeitgeber behaupten, daß die Gehaltsforderungen der Spieler auf Dauer die Liga in den Bankrott treiben. Die Spieler wollen erstens keine Gehaltsgrenzen, zweitens eine höhere Beteiligung an den Gesamteinnahmen der Clubs – und behaupten drittens, daß sie diesen Arbeitskampf nicht für sich, sondern für die nächste Spielergeneration bestreiten. Die Reihen sind geschlossen.
Die Fans, die von der eigenen Biographie her eher dem Arbeitnehmerlager, Abteilung „Untere Lohnklasse“, angehören, sind gespalten. Erstens wollen sie keinen Streik just im August, wo die Eishockey- und Basketballiga noch in Urlaub sind und die Footballspieler gerade mal mit der Vorsaison begonnen haben. Zweitens fällt es Leuten, deren Maximaleinkommen häufig in unmittelbarer Nähe der staatlichen Mindestlohngrenze liegt, nicht ganz leicht, die Forderungen eines Superstars wie Gregg Jeffries von „St. Louis Cardinals“ zu unterstützen, der pro Spieltag rund 26.000 Dollar verdient. Baseball, sagen sie, ist eine zutiefst amerikanische Institution – und da kann es doch nicht nur ums Geld gehen. Am Ende wird vermutlich doch ganz unamerikanisch gestreikt, weil es eben ganz amerikanisch ums Geld geht – und weil die Arbeitgeber in diesem Fall keine Streikbrecher anheuern können. Sportidole lassen sich nicht so einfach ersetzen.
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