„Ihr seid Asylanten, ihr habt kein Recht“

Die Flüchtlingsfamilie Kafafi landete nach einer Irrfahrt in Reinsdorf bei Zwickau / Statt Hilfe gab es dort Prügel  ■ Von Holger Bruns

Sie sind weitgereiste Leute, die Kafafis aus dem israelisch besetzten Westjordanland. „Seit 27 Jahren versuchen wir, unsere Heimat wiederzusehen“, sagt der 48jährige Ingenieur Abdul Rahman Kafafi. „Aber wir bekommen kein Einreisevisum.“

Der Irrweg der palästinensischen Familie ging über Kuwait, Zypern, Libyen, Großbritannien und Argentinien. Vorläufige Endstation ist Deutschland. Um erst mal bleiben zu können, stellte die Familie einen Asylantrag. Die Kafafis wurden dem Bundesland Sachsen zugewiesen und somit in den Osten geschickt. Die zuständige Ausländerbehörde in Zwickau hatte offenkundig mit der neunköpfigen Familie ihre besonderen Schwierigkeiten. Nach dem Asylverfahrensgesetz müssen die Kafafis in Massenunterkünften wohnen. In den ersten Monaten kam es hier ständig zu Reibereien zwischen den Palästinensern und anderen Asylbewerbern. Wie ein Wanderpreis wurden die Kafafis zwischen den Asylbewerberheimen herumgereicht.

Die Familie landete schließlich in Reinsdorf, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Zwickau. „Vom ersten Tag an, gleich nach unserer Ankunft in Reinsdorf, merkten wir, die haben etwas gegen uns“, erinnert sich Abdul Rahman Kafafi. Bereits in der ersten Woche habe man die Kinder am Spielen gehindert. Jede Nacht öffneten Wachleute des Heims die Türen der von den Kafafis bewohnten Räume. „Ihr habt nun schlafen zu gehen“, bekamen sie zu hören. „Warum sind die Kinder noch nicht im Bett?“ Die Familie wurde unter Druck gesetzt.

In einem Brief an das zuständige Verwaltungsgericht Chemnitz forderte die Zentrale Ausländerbehörde der Stadt eine Beschleunigung des Asylverfahrens der Kafafis. Die Familie sei nicht gewillt, sich der „deutschen Ordnung“ zu unterwerfen. Dem sollte jetzt nachgeholfen werden.

Am 15. März, nachts um 11 Uhr, eskalierte der Konflikt. Ein Streit mit einer türkischen Mitbewohnerin fungierte als Auslöser. Die im Asylbewerberheim Reinsdorf tätige Sozialarbeiterin Ursula Nauhaus rief nach der Polizei. Nach Schätzung der Kafafis waren es dreißig Beamte, die mitten in der Nacht den Umzug der Familie in ein anderes Asylbewerberheim erzwingen wollten: „Ihr seid Asylanten und habt kein Recht, ,nein‘ zu sagen.“ Abdul Rahman Kafafi bat die aus Zwickau angereisten Polizisten, die Sache wenigstens auf den nächsten Tag zu verlegen. Doch die Polizisten gingen schon hinunter zu den Kindern. „Sie schlugen meine Tochter, meine ältere Tochter. Und auch das nächste Kind. Ich folgte den Schreien meiner Kinder, die ich hörte. Und dann kamen die Polizisten und legten mir stählerne Handschellen an.“

Abdul Rahman Kafafi landete im Zwickauer Polizeigewahrsam. Währenddessen wurden im Heim die Räume der Familie Kafafi durchsucht. Angeblich hätten die Palästinenser fünf Kilogramm Sprengstoff in ihrem Besitz und seien außerdem mit drei Pistolen bewaffnet. Die Beamten der Zwickauer Polizei wurden fündig. Sie förderten drei Spielzeugpistolen aus Plastik zutage.

Die Familie kam in dieser Nacht nicht mehr zur Ruhe. Nachdem Vater und Mutter inhaftiert waren, mußten die Kinder eingefangen werden. Die wehrten sich heftig. Einem Polizeiauto zerstachen sie die Reifen, die Polizisten wurden attackiert. Ein Junge klaute sich ein Fahrrad, suchte damit das Weite, kehrte schließlich zurück und ergab sich den Beamten. „Ich wußte ja nicht, wohin ich fahren sollte“, überlegte er sich. Ein Mädchen verkroch sich unters Bett und wurde von den Polizisten mit Gewalt hervorgezerrt. Eine Spielzeugpuppe ging dabei zu Bruch. Beinahe wäre es zur Tragödie gekommen.

Der 18jährige Marwan Kafafi ist körperlich schwerstbehindert. Er kann nicht sprechen, nicht laufen und muß gefüttert werden. Seine Geschwister sah er in heller Aufregung. Hin und wieder ging die Tür auf, jemand kam herein, ging wieder hinaus, überall war Geschrei. Der Junge geriet in Panik. Mit einem Feuerzeug versuchte er, sich die Kleidung anzuzünden. Das gelang ihm nicht. Aber er mußte ins Krankenhaus, hatte erhebliche Herzbeschwerden und später tagelang noch hohes Fieber.

Die Zwickauer Behörden konnten sich durchsetzen. Die Familie Kafafi wohnte nach dem gewaltsamen Umzug im abgelegenen Obernhau in der Nähe der tschechischen Grenze. Doch man hat ihnen den erbitterten Widerstand besonders übel genommen. „Als sie mich aus dem Auto holten und in die Zwickauer Polizeistation brachten“, so Abdul Rahman Kafafi, „da traf ich auf drei Polizisten, die da drinnen auf mich warteten. Sie fesselten mich mit einem Plastikseil und schlugen mir heftig in den Magen. Ich mußte mich erbrechen, und es kam Blut. Danach sagte ich ihnen: Ich brauche einen Arzt. In dieser Nacht sagten sie zu mir: Kein Doktor. Du hast hier deutsch zu reden und nicht englisch.“ Und mit jedem Tritt, den Abdul Rahman Kafafi in den Magen erhielt, hätte er von seinen Peinigern den Satz zu hören bekommen: „Deutschland ist schön.“ Nach seinen Worten wurde der palästinensische Ingenieur von dem Zwickauer Polizisten nach der Tortur gezwungen, nackt und ohne Nahrung in einer Gewahrsamszelle zu übernachten. Volker Kroh, Pressesprecher der Zwickauer Polizei, bestreitet diese Darstellung. Man habe Abdul Rahman Kafafi etwas Eßbares angeboten, aber dieser habe abgelehnt. Außerdem sei er am nächsten Tag ärztlicherseits auf seine Haftuntauglichkeit hin untersucht worden. Ebenso fehlten Blutspuren auf dem Zellenfußboden. Dies habe eine kriminaltechnische Untersuchung ergeben, die sofort nach der Strafanzeige des Palästinensers gegen die Polizisten veranlaßt worden sei. Die Ermittlungsunterlagen wurden der Zwickauer Staatsanwaltschaft bislang vorenthalten. Deren Sprecher erklärte zu den Vorwürfen des Palästinensers nur, man wolle „ohne Ansehen der Person“ die Ermittlungen vorantreiben, sobald der Vorgang in seinem Hause aktenkundig ist.

Für die Kafafis hat die Sache noch ein Nachspiel. Auf deren Kosten wurde das Asylbewerberheim in Reinsdorf erst mal ordentlich renoviert. Es gab neue Fußböden, es wurde gepinselt, und neue Bettwäsche liegt jetzt griffbereit in den Schränken. 8.000 Mark hat die Firma Unger Immobilien dafür ausgegeben. Die Firma ist Betreiberin des Asylbewerberheims und wollte nach Auskunft ihres Geschäftsführers Röhnert lediglich Sachschäden decken. Angeblich hätten die Kafafis gehaust wie die Vandalen. Eine Strafanzeige habe die Firma erstatten müssen, und der Polizeiposten Marienberg wurde auch prompt aktiv. Als ersten Tatverdächtigen lud der ermittelnde Polizeihauptmeister Jarsky den schwerbehinderten Marwan Kafafi zum Verhör. „Ich sehe keine Gerechtigkeit“, resümiert Abdul Rahman Kafafi seine sächsischen Erlebnisse. „Ich sehe nichts Gutes. Es tut mir leid, das sagen zu müssen.“

Der Freistaat Sachsen muß 4,6 Prozent aller Asylbewerber aufnehmen, die nach Deutschland kommen. Das sagt das sächsische Innenministerium. Die absoluten Zahlen kennt aber niemand. Sicher ist nur, daß diese Zahlen stark rückläufig sind. Bis zu ihrer Anerkennung oder rechtskräftigen Ablehnung müssen die Asylbewerber in Sammellagern leben. In Ostdeutschland haben Sammellager eine besondere Note.

Nach der Wende seien die ostdeutschen Kommunen mit dem deutschen Asylrecht erstmals konfrontiert worden und hätten mit der Umsetzung besondere Schwierigkeiten gehabt. Der Mangel an Unterkünften wurde gelöst, indem kurzerhand Zeltlager, Containersiedlungen, Bauwagenlager und ehemalige Liegenschaften der Nationalen Volksarmee für Asylbewerber zur Verfügung gestellt wurden. „Da wurde improvisiert“, erklärte Dr. Detlef Schönherr, Sprecher des sächsischen Innenministeriums.

Beispiel Flüchtlingslager Seeligstadt. Auf einem ehemaligen Militärgelände leben heute rund 150 Flüchtlinge, vorzugsweise aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus arabischen Ländern und aus Sri Lanka. Das Lager besteht aus zwei Baracken, einem Pförtnerhaus und einem Gebäude, in dem Küche und Speisesaal untergebracht sind. Das Lager ist von Stacheldrahtzäunen umgeben und liegt in einem dichten Wald. Jeweils einige Kilometer trennen es von den Nachbarsorten Bischofswerda und Groß-Röhrsdorf.

Die Kontrolle von Besuchern und Bewohnern liegt in den Händen von uniformierten Wächtern. Die sind einschlägig gerüstet. Sie haben Schlagstöcke, Handschellen und Hunde.

Die Ausrüstung sei notwendig, um die Asylbewerber vor neonazistischen Attacken zu schützen, erklären einvernehmlich die Mitarbeiter der Lagerverwaltung. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Der Flüchtling Chintana Jayasena aus Sri Lanka hatte in Seeligstadt einschlägige Erlebnisse. „Zweimal wurde ich von Nazis angegriffen“, berichtet er. „Ich ging auf der Straße. Die Nazis kamen mit ihrem Auto, und einer zielte mit einer Pistole auf mich. Ihnen kam ein anderes Auto auf der Gegenfahrbahn entgegen, da konnte ich entwischen. Im letzten Monat in Seeligstadt sind dort zwei Fensterscheiben mit Gewehrschüssen zerstört worden.“

Chintana Jayasena wirft der Lagerleitung vor, daß sie diese Übergriffe tatenlos hinnimmt. Eberhard Lehnert, der für Asylfragen zuständige Dezernent für Recht und Ordnung des Landratsamtes Bischofswerda, sieht das jedoch anders. Er ist stolz auf die Wachleute, die einige ortsbekannte Neonazis beim Mischen von Molotowcocktails aufgestöbert haben. Chintana Jayasena: „Wir Flüchtlinge fürchten um unser Leben. Es ist eine sehr schreckliche Situation.“

Die Flüchtlinge werden im Lager von Sozialbetreuern versorgt. Denen fehlt jedoch oft das notwendige Fingerspitzengefühl. So beklagen sich die moslemischen Asylbewerber, daß man ihnen trotz religiösen Verbots gelegentlich Schweinefleisch serviert. Die Araber sind sauer, weil man ihnen Weißbrot von schlechter Qualität vorsetzt. Sie kaufen sich von ihren kargen 80 Mark pro Monat nun das Mehl, um selber Brot zu backen. Wenn Frauen duschen wollen, dann müssen sie dies in offenen Duschkabinen tun, die in der Männertoilette gegenüber der Urinbecken untergebracht sind. Für den Sozialbetreuer Ivan Camenic ist das erstaunlicherweise kein Problem: „Wenn eine Frau duscht“, läßt er den Skeptiker wissen, „dann ist der Mann sowieso immer mit dabei.“

Die Flüchtlinge reagieren oft gereizt. Jayasena berichtet von allabendlichen Saufgelagen, die ebenso regelmäßig in Schlägereien münden. Die Wachleute mit ihren Knüppeln sorgen anschließend für Ruhe. „Es ist nicht zu sehen, wer ist Angreifer, wer ist Opfer“, beschreibt Chintana Jayasena die Situation. „Es ist einfach eine große Menschenmenge.“

Diesen Vorwurf mochte die Lagerverwaltung in Seeligstadt nicht bestätigen. Schlagstöcke würden die Wachmänner nur außerhalb des Lagers einsetzen. Doch für Chintana Jayasena hat diese feine Unterscheidung zwischen drinnen und draußen keine Bedeutung mehr. Er hat sich mittlerweile in die alten Bundesländer abgesetzt. Er will nun bei den Behörden eine Erlaubnis für seinen neuen Aufenthaltsort erlangen.