Steckt Pakistan hinter Anschlägen von Bombay?

■ Indien: Mutmaßlicher Attentäter Yakub Memon beschuldigt Islamabads Geheimdienst / Beziehungen beider Länder vor neuem Tiefpunkt

Neu-Delhi (taz) – Steckt der pakistanische Geheimdienst ISI hinter den Anschlägen, bei denen im März vergangenen Jahres im indischen Bombay 260 Menschen getötet wurden? Dies jedenfalls behauptet einer der Hauptverdächtigen in einem Fernsehinterview, das gestern abend ausgestrahlt werden sollte und von indischen Zeitungen in Auszügen vorab abgedruckt wurde. Yakub Memon war am Freitag festgenommen worden und ist der jüngere Bruder von Ibrahim „Tiger“ Memon, dem mutmaßlichen Organisator der Bombenexplosionen, die am 12. März 1993 kurz hintereinander Teile der Börse, von Hotels und der Fluggesellschaft Air India zerstört hatten. Noch am gleichen Tag war ein Auto sichergestellt worden, dessen Inhalt – Semtex- Sprengstoff – nicht explodiert war. Es war auf den Namen Yakubs registriert, und in der Folge konnten 47 weitere Fahrzeuge identifiziert werden, die für die Bombenattentate eingesetzt wurden – und die alle auf die Namen von Familienmitgliedern oder Freunden der Familie Memon lauteten. Wie Yakub Memon in dem Fernsehinterview erklärte, hatte der ISI seinen Bruder mit den Attentaten beauftragt. Grund: Man wollte Rache für die muslimischen Opfer der Unruhen vom Januar 1993 nehmen, die in der Folge der Zerstörung der Babar-Moschee in Ayodhya unter anderem auch in Bombay ausgebrochen waren. Die sechs Memon- Brüder waren am Tag vor den Anschlägen nach Dubai abgeflogen, dem Wohnort von Dawood Ibrahim. Ibrahim, wie Memon ein Muslim aus Bombay und wie dieser im Schmuggelgeschäft tätig, wurde als Finanzier der Attentate vermutet.

Die indische Regierung hatte von Anfang an Pakistans Geheimdienst als eigentlichen Kopf hinter dem auch für andere Städte geplanten Bombenterror verdächtigt. Vor allem die mehreren Tonnen Semtex, die in zahlreichen Lagern gefunden wurden, glaubt die Kriminalpolizei nach Pakistan (und von dort zu einer österreichischen Lieferfirma) zurückverfolgen zu können. In den Wochen nach den Attentaten gab es auch Indizien, wonach die Memons von Dubai aus nach Karachi weitergereist waren. Memon trug Papiere bei sich, die ihn als pakistanischen Bürger ausweisen.

Vor einem Monat begann in Bombay der Prozeß gegen die Angeklagten des Attentats vom 12. März 1993. Von den 125 Untersuchungshäftlingen sind die meisten entweder Personen mit Verbindungen zur Unterwelt oder aber kleine Helfershelfer in den Schmuggelsyndikaten Ibrahims und Memons, die bei der Heranschaffung und Lagerung des Sprengstoffs behilflich gewesen sein könnten.

Mit großer Sicherheit werden nun die Beziehungen zu Pakistan einen neuen Gefrierpunkt erreichen. Indien sieht in den Bombenattentaten eine diabolische Strategie des Nachbarn, die Religionskonflikte zu verschärfen und Indien schließlich zu balkanisieren. Zwar ist vorläufig nicht zu befürchten, daß die Krise zu einem Waffengang eskalieren wird. Aber sie wird die Politik gegenseitiger Nadelstiche, die in den vergangenen Monaten vor allem die Diplomaten beider Länder zum Ziel von Belästigungen gemacht hat, weiter verschärfen und einen Dialog unmöglich machen. Bernard Imhasly