: „Die Polizei ist sensibilisiert“
Für das Wochenende bereiten Neonazis bundesweit Rudolf-Heß-Aktionen vor / Sicherheitsbehörden erwarten Verwirrspiel-Taktik / „Panne“ wie in Fulda 1993 soll vermieden werden ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) – „Deutschland steht ein heißer Herbst bevor“, „die Dramatik steigt von Stunde zu Stunde“. Mit solchen Parolen versuchen „Nationale Infotelefone“ in Hamburg, Berlin oder im Rheinland die rechtsextreme Szene auf die „Nationale Aktionswoche“ vom 13. bis 21. August einzuschwören. Koordiniert werden die Aktivitäten zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß vom Hamburger Neonazi Christian Worch. Trotz aller bislang erlassenen Verbote will Worch eine zentrale Demonstration durchsetzen.
Bislang haben die zuständigen Genehmigungsbehörden in Berlin, Bremen, Potsdam, Hannover, Heide, Rudolstadt und Wunsiedel, wo Heß begraben liegt, angemeldete Aufmärsche verboten. Insgesamt liegen für den kommenden Samstag bundesweit mindestens 22 Anmeldungen für Demonstrationen mit 500 bis zu 6.000 Teilnehmern vor, darunter auch ein Aufmarsch der „Jungen Nationaldemokraten“ in Solingen. Hessens Verfassungsschutz-Chef Hartmut Ferse sieht darin ein „altbekanntes Spiel in der Hoffnung, irgendwo eine Lücke bei den Behörden zu entdecken“. „Sie schlagen da zu, wo es am wenigsten erwartet wird und der Widerstand am geringsten erscheint“, beschreibt Helga Wanke, Sprecherin des brandenburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die Strategie der Neonazis.
Schon bevor Heß am 17. August 1987 als 93jähriger im Gefängnis von Berlin-Spandau starb, wurde er in der rechtsextremen Szene als „Märtyrer für den Frieden“ gefeiert. Nachdem er im März 1988 in Wunsiedel beigesetzt wurde, entwickelte sich die oberfränkische Stadt zum Wallfahrtsort für die Neonazis. Beim ersten „Rudolf- Heß-Gedenkmarsch“ trafen sich 1988 nur 120 Alt- und Neonazis in Wunsiedel. Zwei Jahre später marschierten schon 1.000 Rechtsextremisten auf. Der inzwischen verstorbene Neonazi-Führer Michael Kühnen jubilierte damals, in Wunsiedel habe die „Rechte ihre Organisationsegoismen überwunden“.
Mit einem allgemeinen Versammlungsverbot beendete die Stadt Wunsiedel den Spuk. 1991 wichen die dann etwa 2.000 Neonazis nach Bayreuth aus. Ein Jahr später ließ die Polizei mehr als 2.000 Neonazis ungestört durch die thüringische Kleinstadt Rudolstadt marschieren. Getroffen hatten sie sich am Rasthof „Hermsdorfer Kreuz“. Aufgrund einer Vielzahl von Versammlungsverboten in verschiedenen Städten fuhren sie schließlich im Konvoi von dort nach Rudolstadt.
Die Taktik, den Ort der zentralen Kundgebung erst wenige Stunden zuvor bekanntzugeben, wandten sie auch letztes Jahr an. Nach einer Zickzackfahrt durch Thüringen trafen sich etwa 500 Neonazis nach einer generalstabsmäßigen Planung auf dem Domplatz in Fulda und düpierten ein Großaufgebot der Polizei. Hessens Innenministers Herbert Günther rügte damals das „freundliche, fast kumpelhafte Verhalten“ einzelner Polizisten gegenüber den Neonazis.
Ein ähnliches Verwirrspiel erwarten die Sicherheitsbehörden auch in diesem Jahr. Die Szene sei bestens mit Funktelefonen ausgerüstet und arbeite zunehmend konspirativ, betont VS-Sprecherin Wanke. Trotzdem geben sich die Sicherheitsbehörden optimistisch. „Polizei und Kommunen sind ausreichend sensibilisiert, so daß es keine Pannen wie im Vorjahr geben wird“, versprach stellvertretend die Sprecherin des für Fulda zuständigen Polizeipräsidiums Kassel.
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