Wenn die Muse Trümmer küßt

■ Fünf KünstlerInnen rücken dem neuen Weserwehr auf den dicken Pelz

Ermattet liegen die braungebrannten Wiesen in der Sonne. Das Gras ist eigentlich erst ein paar Monate alt. Die hübsch verspielte Hügellandschaft wurde eigens angelegt, um den wuchtigen Betonbau des neuen Weserwehrs mit ein wenig „Begleitgrün“ zu garnieren, wie es im Behördenjargon heißt. Die Rasenflächen aber kümmern vor sich hin. Nun soll die Kunst helfen, den traurigen Anblick zu mildern. Auf den kahlen Matten entlang der Uferpromenade arbeiten dieser Tage fünf KünstlerInnen an Skulpturen – freilich nicht nur zu dekorativen Zwecken. Die Arbeiten sollen vor allem die jammervolle Geschichte dieses Ortes kommentieren: den Abriß des alten Wehres und die Entstehung des neuen Bollwerks, samt der flankierenden Begrünungsversuche. Bis zum 9. September soll alles fertig sein; dann wird die Kunst der Öffentlichkeit übergeben.

„Im Strom“ nennt sich das Projekt, das der Bremer Bildhauer Gunther Gerlach angeregt hat. Vier KollegInnen aus Wien, Stuttgart, München und Münster haben sich seinen Vorstellungen angeschlossen, nämlich: dem neuen Wehr, wie es seit dem Frühjahr unverrückbar mächtig in der Weser steht, doch noch etwas entgegenzusetzen. Von der Kunstpromenade aus sollen die Flaneure einen neuen, anderen Blick auf das Monument werfen können. Denn bei dem neuen Zweckbau „sind Künstler oder Gestalter sowieso nicht einbezogen gewesen“, sagt Gerlach. Jetzt will er nachträglich die Kunst zum Wehr bringen, um dessen monströse Erscheinung wenigstens ein bißchen zu relativieren.

Als Gegengewicht werfen die KünstlerInnen vor allem die reiche Historie des Ortes in die Waagschale. Was noch an Resten vom alten Wehr überigblieb, findet sich nun in den Kunstwerken wieder – zumindest als Zitat: Spundwände, Stahlrohre und -seile, Ziegel und Streben – Treibgut der Geschichte. Der Stuttgarter Branco Smon hat 51 stählerner Röhren vom Altwehr retten können und neu montiert. Früher dienten diese „Schwimmkörper“ zur Abschottung des Wehres; nun liegen sie angeschwemmt am Ufer, seltsam verkeilt und verstreut. Smon hat sie wie die toten Zeugen einer Schiffskatastrophe an Land geworfen, erstarrt in ihrer letzten Bewegung.

So machen sich einzelne Projekte sehr gezielt die nostalgische Wirkung der historischen Trümmer zunutze. Für Gerlach schwingt darin die „heimische Qualität des alten Weserwehres“ mit, die dem Neubau eben nicht zu eigen sei. Der filigrane Ingenieursbau, 1907 bei Hastedt in die Weser gesetzt, habe vielen BremerInnen etwas bedeutet. Mit dem Kunstprojekt soll daher auch an den – vergeblichen – Kampf gegen den Abriß des architektonischen Schmuckstücks erinnert werden. Als nur nostalgisch und hübsch möchte Gerlach die Skulpturen freilich nicht verstanden wissen: „Wir stellen die Arbeiten ja nicht in Art einer Museumsausstellung hin“, sagt er. Die Kunst soll nicht nur zurückblicken, sondern auch „Perspektiven eröffnen“, Anregungen liefern für einen veränderten Umgang mit diesem Ort.

Welche Form die Skulpturen und Installationen letztlich annehmen – auch das ist allerdings noch im Fluß. Bis September arbeiten die KünstlerInnen im Promenadengrün an ihrem Projekt; die vielen Variationen und Veränderungen dokumentiert bis dahin eine kleine Ausstellung mit grafischen Entwürfen in der Städtischen Galerie. Als Original-Siebdrucke sind die Blätter außerdem in Bremens Künstlerzeitschrift „Pictor“ ediert, die dem Projekt ihre gesamte aktuelle Ausgabe widmet. tom

„Pictor 8“, zu beziehen über den Pictor-Verlag, Neustadtwall 61 A, 28199 Bremen Stückpreis: 75 Mark