Wo die letzte Kuh an der Weser wohnte

■ Auf die Plätze (4) / Im Milchquartier huscht das südländische Déjà-vu um die Ecke

Auch ein Platz kann überraschen. Selten zwar, doch es ist möglich. Der Platz „Am Paulskloster“ im Milchviertel ist dazu angetan. Man läuft über ihn hinweg, einmal, zweimal, gesenkten Blicks, mit schweren Taschen und nimmt ihn nicht wahr. Dann irgendwann passiert es: man stockt. Das berühmte Déjà-vu tippt uns auf die Schulter. Letztes Jahr in Italien, damals nach dem Abi auf der griechischen Insel... Bestimmte Plätze gehören zum Süden wie der Sonnenbrand und die gegrillten Sardinen. Aber in Bremen, gleich hinter dem Ostertorsteinweg, wirkt dies Plätzchen am Paulskloster wie vom Himmel gefallen, eine Kulisse aus einem anderen Film.

Licht zeichnet den Platz. Grelle Mittagssonne läßt die Menschen hinter die Mauern flüchten, am Abend fällt warmes Gelb in die Runde, täuscht sinnliche Fülle des Lebens vor.

Sonst tut sich kaum was am Paulskloster. Jemand verschwindet hinter einer Tür, dann ist wieder Stille. Für eine ganze Zeit. Denn meistens herrscht hier Stille, kein drückendes Schweigen, wie manche Plätze gerade im Süden es an sich haben, sondern eine leise Abwesenheit von Lärm. Es passiert einfach wenig hier. Keine Autos fahren, die Straßen sind eher Wege und kein Geschäft versucht das zufällige Zusammenstoßen der Gassen zur Ankurbelung des Umsatzes zu nutzen. Einzig der „Bauernladen“ findet sich hier, vertreibt hinter meist heruntergelassenen Jalousien Produkte aus der Umgebung; eine Handelstätigkeit, die in äußerst gemessenem Tempo in den späten Nachmittagsstunden vor sich geht.

Vielleicht liegt es an seiner eher zufälligen Entstehung bei der Sanierung des Ostertorviertels, daß diesem kleinen Platz nicht nur ein ordentlicher Name, sondern auch die Aufmerksamkeit fehlt. Vor der großen Verschönerungsaktion, die auf den Protest gegen die Remberti-Trasse folgte, beherbergte der Stall in dem nun das Kulturzentrum Kubo haust, die letzte Kuh im Viertel. Dieser Milchkuh, unser Andenken ist ihr sicher, ist es zu verdanken, daß wenigstens der Gegend ein eigener Name verliehen wurde: was unter der Registraturnummer 15/o1 lief, wurde zum Milchquartier geadelt.

Auch hinter dem unplatzigen Namen „Am Paulskloster“ verbirgt sich Historisches. Schon 1050 soll hier das St. Pauli Kloster gestanden haben. Kein sehr sicherer Ort scheint das hier außerhalb der Stadtmauern vor dem Ostertor gewesen zu sein, wurde das Gebäude doch 1350 restlos geplündert und 1523 dann endgültig abgerissen. Am Platz selbst, der wegen seiner Platzwerdung in den 70ern als regelrechter Teenager bezeichnet werden muß, sind naturgemäß die Spuren der Geschichte wenig ausgeprägt.

Allerdings scheint sich das jetzt zu ändern. Konnte doch am letzten Freitag abend eine Gruppe von fünf 13jährigen gesichtet werden, die mit Spraydosen jeder Farbnuance bewaffnet, sich anstellig machten, dem Ort ein gegenwartsverpflichtetes Styling zu verpassen. Man ließ sie gewähren. Eine Zeitlang jedenfalls. Dann nahte der Abend und von der angrenzenden Dachterrasse neigte sich ein gepflegter Kopf eines gebräunten Mitvierzigers. Nun sei es aber langsam Zeit, die weiteren Airbrushkünste könnten sicher bis morgen warten. Man habe Gäste eingeladen, wolle den entkorkten Wein doch lieber nicht in den Lackdämpfen genießen.

Seitdem herrscht wieder Stille auf den Platz am Paulskloster. Einmal in der Woche streunen die Katzen um herausgestellte Mülltonnen. Sonst duftet es gegen Abend schon mal nach Gegrilltem. Aber im wesentlichen ist alles beim alten. Nichts passiert, Vergessen greift um sich und der Genuß liegt im Luxus der Nutzlosigkeit.

Susanne Raubold