Ein Leuchtturm aus der Neuen Welt

■ Reihe Neue Berliner Architektur: Das Bürohaus Shin Takamatsus

Vom obersten Stockwerk des neuen Büro- und Geschäftshauses von Shin Takamatsu in Friedrichshain hat man einen wunderbaren Blick nach Westen, entlang der Karl-Marx-Allee. Der „sozialistische Boulevard“ aus den 50 Jahren mit seinem preußisch-traditionalistisch gefärbten Zuckerbäckerstil leitet die Sicht bis zum Alexanderplatz und Fernsehturm.

In seiner Monumentalität korrespondiert das Eckhaus des japanischen Architekten mit dem frühen Ost-Baustil. Der „sozialistischen“ Gestaltung aber setzt es ein Design aus der Neuen Welt und die Pathosformeln des westlichen Fortschrittsglaubens entgegen: Das Haus ist eine Collage aus Leuchtstoffröhren und Reklametafeln, Campbells-Tomatensuppen-Dosen und schnittigen Edelstahl-Zierleisten, polierten Fassaden und silbergrauen Alufenstern. Wer denkt da nicht an den American Way of Life, die allgegenwärtigen Verführer zum Konsum, den Objektfetischismus der Pop-art.

Das zwischen 1992 und 1994 errichtete Bank- und Bürohaus erscheint wie eine in den Osten vorgeschobene Landmarke des westlichen Wirtschaftsbooms. Über dem L-förmigen Grundriß des Hauses Ecke Frankfurter Allee/Voigtstraße der Bauherren Hübner und Weingärtner erheben sich ein Schalterraum und sechs Etagen für Büroflächen. Treppenhäuser und Fahrstühle sind an die beiden Flügelenden gelegt, der Tresorraum wurde im Tiefgeschoß betoniert.

Die großflächigen Fensterfronten faßte Takamatsu durch schwarzpolierte Granitpfeiler, deren rahmende Kraft durch aufgesetzte Edelstahlklammern und -leisten betont wird. Ab dem dritten Obergeschoß weicht der Bau etwas zurück, um vier hohen ellipsenförmigen Glastürmen Raum zu geben. An diesen läßt Takamatsu seine Stahlzierleisten als Antennen in dreißig Meter Höhe wie zeichenhafte Energieleiter auslaufen.

So tritt das Bankhaus dem Betrachter als neomoderne Kulisse, als Mythos der US-verspielten, späten Sachlichkeit gegenüber. Die ungewöhnliche Ecklösung ist ein Markenzeichen von Takamatsu. Schon in seinen ausländischen Projekten Pharao (1984) und Imanishi (1988) wurde das Haus als Ecklösung inszeniert. Ebenso finden sich die hochaufgeschossenen Glasröhren in seinen Arbeiten wieder: In dem Projekt Tatoo (1988) in Sapporoh und bei der Planung Syntax (1989) in Kyoto ließ der Japaner das Licht in den Himmel steigen. An dem Haus in Ostberlin aber erscheinen die baulichen Artefakte der späten Moderne als Anachronismus aus einer Zeit, der die Energie scheinbar im Überfluß zur Verfügung stand. Proklamatorisch und bedeutungsschwanger entbehren sie jeder Funktion – außer der ästhetischen. Den Nerv der Zeit, den Umbruch in Ostberlin, hat Takamatsu nicht getroffen, betet er doch fortschrittseuphorisch alte Mythen nach. Zeitgemäß sind nicht Bilder und Filmkulissen aus den Fünfzigern, sondern deren Überwindung. Rolf Lautenschläger